ZUM FRÜHEN TECHNOLOGIETRANSFER

Der Erfolg der in Großbritannien neu entwickelten Technologien im späten 18. Jahrhundert erregte sowohl aus kommerziellen wie auch aus strategischen Gründen viel Aufmerksamkeit. Britische Gusseisentechnologie war deshalb von besonderem Interesse, weil zwar zu jener Zeit Kenntnisse im Hüttenwesen noch frei von strategischen Hintergedanken waren, andere Länder aber durchaus bestrebt waren, Geschütze von der gleichen Qualität wie die britischen zu produzieren. Know-how im Schiffsbau und bei der Segeltuchherstellung hatte ebenfalls eine zweifellos strategische Bedeutung. Regierungen waren auch darum bemüht, neue Technologien in der nationalen Textil- und Eisenproduktion einzuführen, um im Export mit anderen Ländern konkurrenzfähig zu bleiben.

Mehrere Jahrzehnte lang verbrachte der Katholik und Jakobiner John Holker, geboren 1719 bei Manchester, damit, im Auftrag des französischen Regierungsvertreters Daniel-Charles Trudaine, Direktor des Bureau de Commerce, und nach dessen Tod 1769 in Zusammenarbeit mit dessen Sohn und Nachfolger Troudaine de Montigny, Einzelheiten der in England angewandten Technologien in Erfahrung zu bringen, an Warenmuster, Werkzeuge und Mineralien heran zu kommen und erfahrene englische Arbeiter mit ihrem Fachwissen nach Frankreich abzuwerben. Die britische Regierung reagierte mit einer Reihe von Gesetzen, die den Export wichtiger Werkzeuge und Maschinen verbot und die Reisetätigkeit von Facharbeitern auf den Kontinent beschränkte. Holkers Interesse galt der Textiltechnologie, insbesondere Textilveredelungstechniken wie Mangeln, Färben und Bleichen, sowie der Herstellung von Schwefelsäure. Abgesehen davon lag ihm daran, den Franzosen technisches Know-how in der Herstellung von Stahl und Stahlblechen, in der Lederverarbeitung, im Hochofenbau, und in der Erzeugung hochwertiger Schamottsteine zu vermitteln.

Viele Engländer wurden nach Frankreich geholt, einige auch mit ihren Familien. Bei den meisten handelte es sich um anonyme Facharbeiter, von denen wenig bekannt ist. Aber immerhin gehörte auch John Kay dazu, der Erfinder des fliegenden Weberschiffchens, der im Jahr 1746 emigrierte und abgesehen von ein paar vereinzelten Besuchen bis zu seinem Tod im Winter 1780/81 in Frankreich blieb. Auch William Wilkonson, Bruder des namhaften Eisenfabrikanten John Wilkinson, hielt sich in Frankreich auf.

Der Technologietransfer war mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Selbst wenn Industriespione in anderen Ländern willkommen waren, hinderten sie doch sprachliche Barrieren und fehlendes Wissen daran, ihre Beobachtungen weiterzuvermitteln. Und wenn erfahrene Arbeiter davon überzeugt werden konnten, ins Ausland zu gehen, war es aufgrund abweichender Rohmaterialbeschaffenheit oder unterschiedlicher Verfügbarkeit  geeigneter Werkzeuge und Bautechniken oftmals schwierig, die Produktionsprozesse, an die sie gewöhnt waren, vollständig zu kopieren.

Im 18. Jahrhundert fand Technologietransfer in viele Richtungen statt, nicht nur von Großbritannien aufs Festland. Der Aufschwung der Alkaliindustrie ging auf das von dem Franzosen Nicolas Leblanc (1742-1806) erfundene Verfahren zurück, und die Technologie für die Glasherstellug in dem berühmten Werk von Ravenhead, Lancashire, stammte ebenfalls aus Frankreich. Porzellan wurde ab 1710 im sächsischen Meissen bei Dresden hergestellt, bevor Kenntnisse vom Herstellungsverfahren etwa 20 Jahre später nach Frankreich und dann nach England gelangten.

[Auszug aus: Barrie Trinder "Die Industrielle Revolution in Europa"]
 

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