ZUR INDUSTRIEGESCHICHTE VON RUMÄNIEN
Die Wirtschaftsgeschichte Rumäniens wurde vom Widerspruch zwischen einem außergewöhnlich starken Autarkie-Streben einerseits und der Dominanz fremder Großmächte andererseits bestimmt. Wie in allen Ländern Südost-Europas setzte eine bescheidene Industrialisierung erst Ende des 19. Jahrhunderts ein, obwohl Rumänien über große Rohstoffvorkommen verfügte, vor allem Öl, aber auch Kohle und Eisenerze. Es fehlte vor allem das Investitionskapital, denn das fruchtbare Ackerland kontrollierten Großgrundbesitzer, die im Ausland lebten und die Einnahmen aus den beachtlichen Mais- und Weizenexporten dort ausgaben.
Nachdem Rumänien 1878 als eigener Staat völkerrechtlich anerkannt worden war, bemühte sich die Regierung um den Aufbau der Industrie. Bis zum Ersten Weltkrieg entwickelten sich typische „Einsteigerbranchen“ wie Nahrungsmittelproduktion, Textilherstellung sowie Holz- und Metallverarbeitung, den stärksten Aufschwung nahm die Ölförderung. Um Ploieʂti, wo die erste Anlage schon 1858 in Betrieb gegangen war, wuchsen weitere Bohrtürme aus dem Boden und an den Süd- und Osthängen der Karpaten erschloss man neue Ölfelder. Schon damals propagierten Politiker unter der nationalistischen Parole „durch uns selbst“ die Autarkie, doch Kapital und KnowHow aus dem Ausland waren unverzichtbar. Auch erste Eisenbahnstrecken wurden mithilfe ausländischer Investitionen gebaut. Nach der Eröffnung der Donaubrücke bei Cernavodă 1895 fuhr der „Orientexpress“ von Wien über Bukarest durch bis Constanţa am Schwarzen Meer, wo Schiffe nach Istanbul ablegten. Nebenlinien führten von der Hauptstadt nach Siebenbürgen und - dem Karpatenbogen nach Norden folgend – Galizien, die beide noch zu Österreich-Ungarn gehörten. Neue Kanäle erleichterten die Donauschifffahrt.
In den Friedensverträgen nach dem Ersten Weltkrieg gewann Rumänien große Gebiete hinzu, die zum Teil schon industriell erschlossen waren: Im Banat und in Siebenbürgen förderten Gruben Kohle und Erz, in Reʂita und Arad wurden Lokomotiven und Eisenbahnwagen gebaut. Trotzdem gab es für die unzähligen Arbeitslosen auf dem Land längst nicht genug Beschäftigung. Die Regierung hob den Großgrundbesitz auf, konnte die Landwirtschaft aber nicht sanieren, weil sie den neuen Bauern keine Kredite bewilligte und sogar Ausfuhrzölle auf Getreide verlangte, um damit die nationale Industrie zu fördern. Textilproduktion, Petrochemie und Maschinenbau expandierten, in Braʂow wurde 1925 sogar eine Flugzeugfabrik eröffnet, doch die Auslandsverschuldung stieg weiter an. Im Lauf der dreißiger Jahre geriet Rumänien dann zunehmend in Abhängigkeit vom nationalsozialistischen Deutschland.
Den Schritt zum Industriestaat machte das Land nach dem Zweiten Weltkrieg. Sowjetrussischen Vorgaben entsprechend wurden bis 1948 alle Privatunternehmen verstaatlicht, danach begann der zentral geplante Aufbau einer gigantischen Schwerindustrie: Man stampfte Ölraffinerien und Kraftwerke, Stahlhütten, Chemie- und Maschinenbaukombinate aus dem Boden. Die ländliche Arbeitslosigkeit nahm ein Ende, die Industrieproduktion explodierte. Auch die Infrastruktur wurde ausgebaut: 1954 konnte die Donaubrücke zwischen Giurgiu und Russe in Bulgarien eröffnet werden. Der aufwändige Bau des Schwarzmeer-Donau-Kanals wurde allerdings unterbrochen und erst 1984 vollendet.
Wie in allen sozialistischen Staaten ging die geradezu atemberaubend rasante Industrialisierung zu Lasten der stagnierenden Landwirtschaft und einer drastisch eingeschränkten Konsumgüterproduktion. Zudem war es ein extensives Wachstum, das auf dem zunehmenden Verbrauch von Energie, Rohstoffen und Arbeitskräften beruhte. Gegen Ende der sechziger Jahre versuchte die Regierung, den Kurs zu korrigieren und setzte stärker auf technisch anspruchsvolle Branchen und Kooperation mit westlichen Firmen. Seit 1968 werden in Piteʂti unter Lizenz von Renault Autos der Marke „Dacia“ gebaut, in Zusammenarbeit mit sowjetischen, aber auch britischen und französischen Unternehmen expandierte die Flugzeugproduktion und Ende der siebziger Jahre exportierte Rumänien sogar Bohrinseln. Ganz im Sinne des Autarkie-Gedankens erzeugte die Industrie eine breite Produktpalette von Ölderivaten über Pharmazeutika und Lokomotiven bis zu Elektronikkomponenten, doch Strukturprobleme wie hoher Energieverbrauch und geringe Rentabilität blieben bis zum Zusammenbruch des sozialistischen Staatensystems ungelöst. Rumänien musste schließlich Grundstoffe wie Rohöl und Eisenerz teuer importieren, damit die überdimensionierten Werke weiter arbeiteten und konnte in den achtziger Jahren seine Bevölkerung nicht mehr selbst ernähren, obwohl es einst eine „Kornkammer“ Osteuropas gewesen war.