ZUR INDUSTRIEGESCHICHTE VON BOSNIEN UND HERZEGOWINA

In Bosnien-Herzegowina liegen Gebiete mit fruchtbarem Ackerland und bedeutenden Rohstoff-Vorkommen, doch die industrielle Entwicklung begann sehr spät. Wie in anderen Ländern, die lange zum Osmanischen Reich gehörten, spielte die rückständige Landwirtschaft eine entscheidende Rolle: Durch endlose Teilungen wurden die Ackerflächen so zerstückelt, dass kein kapitalkräftiger Großgrundbesitz entstand, keine Überschüsse erwirtschaftet wurden, ja ein Großteil der Bauern sich nicht einmal selbst ernähren konnte.

Die Osmanen eroberten das Land Mitte des 15. Jahrhunderts. Sie setzten die traditionsreiche Salzsiederei bei Tuzla fort, an die heute ein Museum erinnert, und bauten die Eisengießerei bei Prijedor aus, die ebenfalls auf vorchristliche Zeit zurückgeht.  Ab dem 17. Jahrhundert blühte in bosnischen Städten der Handel auf. Die Kaufmannschaft aus muslimischen Bosniaken, Juden, katholischen Kroaten und orthodoxen Serben spiegelte die multiethnische Bevölkerung des Landes wider. Sarajewo statteten sie prachtvoll aus: Vom türkischen Wort „saray“ für „Palast“ bekam es auch seinen Namen.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wirkten sich die Reformversuche des kriselnden Osmanischen Reiches aus:  1872 entstand zwischen Kroatien und Banja Luka, der heutigen Hauptstadt der Republik Srpska, eine erste Eisenbahnstrecke. Der Wirtschaftsaufschwung nahm aber erst unter der nächsten Besatzungsmacht Fahrt auf: Ab 1878 war Bosnien-Herzegowina de facto ein (entlegener) Teil des Habsburger Reiches und die Regierung in Wien ließ weitere Bahnstrecken, neue Straßen und Brücken bauen. In Sarajewo ergänzten historisierende Repräsentationsbauten das von islamischer Architektur geprägte Stadtzentrum.

Österreichische Unternehmer investierten vor allem in die Schwerindustrie und den Bergbau: Sie modernisierten die Eisenerz-Mine in Prijedor, heute im Besitz des Stahlkonzerns Arcelor-Mittal, und eröffneten 1893 das Stahlwerk Zenica, das nach wechselvoller Geschichte ebenfalls noch immer produziert. Auswärtiges Kapital floß aber auch in traditionelle Branchen wie Forstwirtschaft, Tabak-Verarbeitung und Salzsiederei. Ein viel sagender Fall ist die Teppichfabrik, die Philipp Haas 1879 in Sarajewo gründete. Haas ließ sich von einem Wiener Museumsdirektor Dekors entwerfen, Arbeiterinnen in Bosnien strickten sie in Teppiche, dann kamen sie als „traditionell bosnisch“ auf den Markt, ja sogar in Museen. Diese Form ökonomischer und geistiger Ausbeutung bezeichnen manche Historiker als habsburgische Version des Kolonialismus.

Dennoch war Bosnien zum Beginn des Ersten Weltkriegs noch immer ein sehr armes, bäuerlich geprägtes Land. Die Masse beschäftigungsloser Landarbeiter fand in den Fabriken keine Anstellung. In den Städten dominierten nicht die Schlote der Industrie und mehrstöckige Mietskasernen, sondern ebenerdige Elendsquartiere, deren Bewohner von der Landwirtschaft lebten.  So genannte Arbeiter-Bauern arbeiteten wechselweise in der Fabrik und auf ihren Äckern. Daran änderte sich auch wenig, als die Regierung des 1918 gegründeten „Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen“ eine halbherzige Agrarreform durchführte. Im Gegenteil, im ersten jugoslawischen Staat verschärfte sich der Abstand zwischen den nördlichen und südlichen Landesteilen noch. Neben Überbevölkerung, Kapitalmangel und unzulänglicher Infrastruktur trug dazu auch der miserable Bildungsstand bei: Noch Ende der dreißiger Jahre waren beinahe zwei Drittel der bosnischen Bevölkerung Analphabeten.

Wie in den anderen sozialistischen Ländern begann nach dem Zweiten Weltkrieg auch in der „Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien“ mit einem kompromisslosen Ausbau der Schwerindustrie der Wandel zum Industriestaat. Nach dem Bruch Staatschef Titos mit der Sowjetunion 1948 profitierte Bosnien besonders davon: Relativ weit entfernt von den Grenzen gelegen, galt es als sicherer Standort für die Rüstungsindustrie. So entstand in Mostar, Hauptort der Herzegowina, die Flugzeugfabrik SOKO. In Lukavac wurde ein Kokswerk aus dem Boden gestampft, mit der Expansion des Eisenwerkes verdoppelte sich die Einwohnerzahl von Zenica. Im Osten des Landes begann 1959 der Abbau von Bauxit, aus dem sich eine bedeutende Aluminium-Produktion entwickelte. Die Industrieproduktion Jugoslawiens erzielte gigantische Zuwachsraten, doch obwohl die Regierung gezielt versuchte, die Unterschiede zwischen den Teilrepubliken auszugleichen, fiel Bosnien-Herzegowina bald wieder zurück. In den siebziger Jahren wurden dann mit Arbeitslosigkeit, Auslandsverschuldung und Qualitätsmängeln die systemischen Schwächen der jugoslawischen Industrie offenkundig.
 

Bosnien und Herzegowina war ein Teil der ab 1991 zerfallenden ‘Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien'.
Lesen Sie daher zur Abrundung auch unsere Beiträge zur Industriegeschichte der anderen ehemals zu Jugoslawien gehörenden heutigen Staaten


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