ZUR INDUSTRIEGESCHICHTE VON LIECHTENSTEIN

Für Jahrhunderte galt der winzige, 1719 gegründete Staat in den Alpen als Armenhaus Europas: Gelegen im Rheintal, mit Österreich im Osten und der Schweiz im Westen, ist das Fürstentum praktisch ohne eigene Rohstoff-Vorkommen. Die Landwirtschaft, bis um 1930 die wichtigste Erwerbsquelle, produzierte fast nur für den Eigenbedarf, der Binnenmarkt war unbedeutend und Kapital für wirtschaftliche Unternehmungen fehlte.

Die beginnende Industrialisierung Europas schlug sich in Liechtenstein nur in der Gründung der Firma Schädler 1836 nieder, die anfangs Ofenkacheln und später Kunstkeramik produzierte und noch heute existiert. Der 1852 geschlossene Zollvertrag mit der Monarchie der Habsburger eröffnete dem Land endlich den Zugang zu einem größeren Wirtschaftsraum. 1861 wurde die erste Bank gegründet und dann erstmals systematisch die Infrastruktur ausgebaut: Bei Schaan und Bendern schlug man Brücken über den Rhein. Das Tal der Samina wurde durch eine Straße und einen Tunnel erschlossen, so dass sich dort allmählich der Tourismus entwickeln konnte. Ab 1872 querten Züge der „k.k. priv. Vorarlberger-Bahn“ das Land und in Schaan-Vaduz entstand ein Bahnhof für die Hauptstadt – der im Fernverkehr zwischen Österreich und der Schweiz allerdings nicht bedient wurde.

Der zollfreie Zugang zum österreichischen Markt führte zur Gründung mehrerer Webereien, die die Antriebsenergie der schnell fließenden Bergbäche nutzten, insbesondere die Firmen der Schweizer Unternehmer Caspar Jenny und Johann Jakob Spoerry. 1905 fusionierten sie zu einem bedeutenden Textilunternehmen, das mit Unterbrechungen bis 1992 produzierte. Das 1870 erbaute imposante Fabrikgebäude in Triesen und ein zugehöriges Arbeiterwohnhaus stehen heute unter Denkmalschutz.

Der bescheidene Aufschwung reichte aber nicht, um die Bevölkerung zu ernähren: Noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts waren viele Liechtensteiner gezwungen, Arbeit in den Nachbarländern zu suchen oder auszuwandern.

Entscheidend für die erfolgreiche spätere Wirtschaftsentwicklung war, dass sich das Fürstentum nach dem Zerfall des Habsburger-Imperiums eng an den Nachbarn im Westen anschloss: Mit dem Zollvertrag von 1923 und der Übernahme der Schweizer Währung 1924 wurde Liechtenstein Teil des Schweizer Wirtschaftsraums. Ab Mitte der dreißiger Jahre setzte – auch durch niedrige Löhne und Steuern begünstigt - ein Boom von Firmengründungen ein. Es entstanden hauptsächlich Betriebe der Metall-, Maschinen- und Apparateindustrie, von denen viele heute noch existieren.

Aus der 1935 eröffneten Scana-Konservenfabrik entwickelte sich der Nahrungsmittelkonzern „Hilcona“. Die 1941 gegründete Maschinenbaufirma Hilti ist heute weltbekannt in der Befestigungstechnik. Die Wirtschaft profitierte auch von der Produktion für die deutsche Rüstung. So siedelte sich 1941 die „Press- und Stanzwerk AG“ in Liechtenstein an, die mittlerweile unter dem Namen „ThyssenKrupp Presta AG“ vor allem Lenk-Systeme für den Fahrzeugbau herstellt. Aus der 1946 eröffneten „Gerätebau-Anstalt Balzers“ entwickelte sich „Oerlikon Balzers“, ein führendes Unternehmen für Vakuum- und Oberflächentechnik. In den 1950er Jahren erlebte die junge Industrie dann einen stürmischen Aufschwung, in dem die Zahl der Beschäftigten zeitweise um das Fünffache anstieg. Einige Betriebe entwickelten sich in den 1960er Jahren zu international erfolgreichen Unternehmen und teilweise auch zu Weltmarktführern.

Heute erzeugen überwiegend hochtechnisierte, forschungsintensive und fast völlig auf den Export ausgerichtete Industrieunternehmen rund 40% des Bruttoinlandsprodukts. Liechtenstein ist eines der höchst industrialisierten Länder der Welt. Gleichwohl arbeitet mittlerweile die Mehrheit der Erwerbstätigen (62%) im Dienstleistungssektor: Insbesondere das Finanzwesen ist zu einem wichtigen Bestandteil der Wirtschaft geworden. Bemerkenswert: das Fürstentum zählt mehr Arbeitsplätze als Einwohnen; über die Hälfte der Beschäftigten sind Zupendler aus der Schweiz und Österreich.