ZUR INDUSTRIEGESCHICHTE VON SERBIEN

Als Serbien 1878 nach gut 400 Jahren unter osmanischer Herrschaft unabhängig wurde, standen die Chancen für eine Industrialisierung schlecht. Investitionskapital war nicht verfügbar, denn die Landwirtschaft wurde überwiegend auf kleinen, zersplitterten Flächen betrieben und die Produktion für den Markt war so gut wie unbekannt. Die für den Balkan typischen Großfamilien erzeugten selbst, was sie brauchten, egal ob Pflüge oder Fässer. Folglich spielte die städtische Handwerkerschaft eine untergeordnete Rolle, außerdem befand sich die Infrastruktur des verarmten Landes in kläglichem Zustand.

Zu den wenigen Ausnahmen zählte das Bergwerk in Senjski Rudnik am Südhang der Karpaten. Dort wurde die serbische Bergbau-Tradition, die bis in vorgeschichtliche Zeit zurückreicht, seit 1853 mit dem Abbau von Braunkohle weitergeführt. In Belgrad entstand immerhin die „Hohe Schule“, aus der sich die Universität entwickelte.

Die Regierung setzte die rigide, auf die Osmanen zurückgehende Kontrolle der Gewerbe fort, beteiligte sich auf Druck der europäischen Großmächte jedoch am Bau der Orientbahn von Wien nach Konstantinopel. So bekam Serbien 1884 eine erste Bahnstrecke, die Belgrad und Niš, die beiden wichtigsten Städte, verband. Bald rollten auch Züge zur türkischen und bulgarischen Grenze. Einen weiteren Impuls setzte 1884 die Eröffnung der Serbischen Nationalbank, doch nach wie vor war der Kapitalmangel eklatant und wirtschaftliches Know How extrem selten. Zu einem ersten Industrialisierungsschub kam es erst um die Jahrhundertwende, als die Regierung die Wirtschaftsordnung liberalisierte und gleichzeitig das einheimische Gewerbe durch hohe Schutzzölle von der internationalen Konkurrenz abschirmte. Neue Unternehmen – wie eine erste Zuckerraffinerie in Belgrad – verarbeiteten vor allem Erzeugnisse der Landwirtschaft oder förderten Bodenschätze. So begann im ost-serbischen Bor mit französischem Kapital die Ausbeutung der bedeutenden Kupfer-Vorkommen. Im Donau-Hafen Smederovo entstand ebenfalls mit ausländischem Kapital ein Eisenwerk, das später zu einer „Säule der jugoslawischen Wirtschaft“ heranwuchs. Belgrad entwickelte sich dank zahlreicher Firmengründungen zu einer europäisierten Großstadt – in scharfem Kontrast zum Rest des Landes.

Bei der Auflösung Österreich-Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg bildete sich das „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“, dem auch die zuvor habsburgische Vojvodina, die „Getreidekammer“ nördlich der Donau, zugesprochen wurde. Die Kriegszerstörungen waren jedoch drastisch und die nächsten beiden Jahrzehnte brachten nur einen bescheidenen Aufschwung. Die vor dem Krieg begonnene Schmalspurbahn von Belgrad durch das zerklüftete Sargan-Gebirge ins bosnische Sarajevo konnte endlich fertiggestellt werden, die Kupfergewinnung in Bor und die Baumwoll-Verarbeitung blühten auf. Die Industrie konnte aber die Tausende Arbeitslosen nicht beschäftigen und die Landwirtschaft warf nach wie vor zu wenig ab. Viele Bauern wechselten daher zwischen ihrem Hof und der Fabrik hin und her: Eine spezielle Schicht von Arbeiter-Bauern entstand.

Nach dem Zweiten Weltkrieg brachten die massiven Anstrengungen der „Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien“ schnelle Erfolge im Wiederaufbau. 1947 sah der erste Fünfjahresplan bereits eine kompromisslose Steigerung der Industrieproduktion vor, insbesondere im Energiesektor, bei der Chemie, im Transportwesen und in der Rüstungsproduktion. Obwohl der Ostblock 1948 nach Staatschef Titos Abkehr von Stalin die Handelsbeziehungen unterbrach, wuchs Jugoslawiens Wirtschaft in den nächsten Jahren dramatisch.

In Serbien entstand 1953 der Konzern „Crvena Zastava“ (Rote Fahne) in Kragujevac, das Herz der jugoslawischen Auto-Industrie, das bald die Lizenz-Produktion des Fiat 600 aufnahm. Das gewaltige Chemiekombinat in Pančevo bei Belgrad wurde 1959 mit einer Düngemittel-Fabrik eröffnet, 1968 um eine Erdöl-Raffinerie erweitert. Die Tradition der Baumwollverarbeitung setzte die Belgrader Firma Kluž erfolgreich fort. Anders als die sozialistischen Staaten des Ostblocks begann die Regierung Jugoslawiens schon 1955, die Konsumgüterindustrie zu fördern. Zudem ersetzte die Staatsführung die zentrale Wirtschaftslenkung durch ein flexibleres, stärker dezentral organisiertes Modell mit kapitalistischen Elementen. Doch nur wenige Unternehmen konnten auf den westlichen Märkten konkurrieren, sowohl die Auslandsschulden als auch die Arbeitslosigkeit stiegen bedenklich und in den siebziger Jahren brach das Wachstum ein. Das nun voll industrialisierte Land steuerte in die Wirtschaftskrise.
 

Serbien war ein Teil der ab 1991 zerfallenden ‘Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien'.
Lesen Sie daher zur Abrundung auch unsere Beiträge zur Industriegeschichte der anderen ehemals zu Jugoslawien gehörenden heutigen Staaten


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