ZUR INDUSTRIEGESCHICHTE VON ALBANIEN

Ein grundlegender Widerspruch prägt die Wirtschaftsgeschichte Albaniens: Das Land besitzt wertvolle Rohstoffvorkommen, fruchtbare Böden und ein großes Potential an Wasserkraft, dennoch zählt es seit Jahrtausenden zu den ärmsten Gebieten Europas.

Schon in der Antike wurde bei Selenica Bitumen abgebaut, das man vor allem als Dichtungsmittel schätzte. Die Hafenstadt Durrës war Ausgangspunkt der Via Egnatia, einer bedeutenden Verkehrsachse quer über den Balkan nach Konstantinopel. Auch unter den Osmanen, die Albanien gegen Ende des 15. Jahrhunderts eroberten, florierte der Handel, mit Zentren in den Städten Elbasan, Shkodra und erneut in Durrës. Die Landwirtschaft verharrte jedoch für mehr als vierhundert Jahre in einem fatalen Stillstand. Die fruchtbaren Böden waren in der Hand meist muslimischer Großgrundbesitzer, die sich nicht für Modernisierung und Marktproduktion interessierten, während die Bauern in den Bergen auf kleinen Parzellen kaum genug zum Leben erwirtschafteten.

Als sich Albanien 1912 für unabhängig erklärte, war das Land stark unterentwickelt, besaß praktisch keine Straßen und keine Bahnstrecken. Das Bildungsniveau lag extrem niedrig. Nach dem Ersten Weltkrieg begannen italienische Firmen mit der Förderung von Rohöl, darüberhinaus bestand die Industrie aus wenigen Fabriken für die Produktion von Lebensmitteln und die Verarbeitung von Baumwolle, Tabak und Holz. Die Agrarreform des Staatspräsidenten Ahmet Zogu, der sich 1928 zum König krönen ließ, blieb erfolglos. Die Bauern – die noch Holzpflüge benutzten – konnten die rapide wachsende Bevölkerung nicht ernähren. Zu Anfang der 1930er Jahre waren noch immer rund drei Viertel der albanischen Kinder Analphabeten. Nach und nach setzte nun der Abbau von Kohle, Kupfer und Chromeisenerz ein, meist wieder durch italienische Unternehmen. Der Staatshaushalt geriet bald in Abhängigkeit von Italien.

Die Regierung der 1944 gegründeten „Sozialistischen Volksrepublik Albanien“ suchte ökonomische Unterstützung beim Nachbarn Jugoslawien und übernahm das Wirtschaftsmodell der Sowjetunion. Betriebe  und Grundbesitz wurden verstaatlicht, die Schwerindustrie massiv ausgebaut. 1947 rollte zwischen Durrës und Pequin der erste Zug und während der nächsten Jahrzehnte entstand ein verzweigtes Eisenbahnnetz. Die Strecken wurden jedoch überwiegend von schlecht qualifizierten Soldaten und Jugendlichen in „freiwilligen Arbeitseinsätzen“ gebaut und ließen keine höheren Geschwindigkeiten zu, Wagen und Lokomotiven waren ausländische Gebrauchtware.

Nach dem Bruch zwischen Jugoslawien und der Sowjetunion 1948 bat die albanische Staatsführung in Moskau um Beistand. Russische Finanzhilfe floss ins Land, russische Spezialisten halfen u.a. bei der Fertigstellung des ersten Wasserkraftwerks in Selita. Da die Sowjetunion mit ihren Verbündeten ein dankbarer Abnehmer albanischer Rohstoffe war, kam es bei der Gewinnung von Erdöl, Kupfer, Chrom und Bitumen zu einem kräftigen Aufschwung. Die Landwirtschaft jedoch wurde weiter vernachlässigt, so dass Albanien zeitweise große Mengen Getreide importieren musste. Gleichzeitig nahmen die Schulden bei der UdSSR zu.

1961 entschied sich Diktator Enver Hodscha zum Bruch mit den Sowjets und suchte bei Moskaus Konkurrenten in Peking um Hilfe nach. Dank chinesischer Unterstützung expandierte die albanische Wirtschaft weiter. Rohstoffe wurden nun zunehmend im Inland verarbeitet: Kupfer im Kabel- und Drahtwerk Shkodra und Rohöl in einer ersten albanischen Raffinerie in Fier. Das nickelhaltige Eisenerz aus dem Raum Pogradec ging meist ans Eisen- und Stahlwerk bei Elbasan, das größte des Landes. 1970 erklärte die Regierung stolz, dass dank neuer Wasserkraftwerke das gesamte Land ans Stromnetz angeschlossen sei.

In dieser Phase dürfte der industrielle Anteil an der Wirtschaftsleistung den der Landwirtschaft überstiegen haben – verlässliche Daten geben die Statistiken nicht her. Schnell zeigte sich jedoch, dass die nun relativ moderne und vielseitige Industrieproduktion ohne Subventionen nicht lebensfähig war. Als die chinesische Regierung 1978 ihre Hilfen stoppte, erklärte Hodscha den Verzicht auf jede ausländische Unterstützung und verkündete die Vision eines autarken Albanien. Bald darauf setzte ein unaufhaltsamer Produktionsrückgang ein, der Anfang der neunziger Jahre in einen Kollaps mit Plünderungen, Hunger und Chaos mündete.