ZUR INDUSTRIEGESCHICHTE VON IRLAND

Als „Grüne Insel“ wird Irland heute touristisch vermarktet, doch hinter dem erfolgreichen Markennamen steckt eine bittere Geschichte: Bis weit ins 20. Jahrhundert war die Insel durch eine unprofitable Landwirtschaft geprägt, denn die Parzellen der Bauern waren zu klein und die Großgrundbesitzer, meist im Ausland ansässig, vernachlässigten ihre Güter. Die Kartoffel wurde zum traurigen Symbol irischer Rückständigkeit, weil sie auch auf unergiebigsten Böden gedieh. Für die Industrialisierung aber fehlten Rohstoffe, Kapital und eine Gewerbe-Tradition.

Im 18. Jahrhundert verarbeiteten die ersten größeren Unternehmen Produkte aus der Landwirtschaft: Irland exportierte Wolle, bis der Haupthandelspartner England die Zölle erhöhte und die Fabrikanten auf Leinen umschwenken mussten - vor allem in der nordöstlichen Provinz Ulster hatten sie damit großen Erfolg. Daneben gingen auch Fleisch, Butter, Getreideprodukte und Whiskey in den Export. Das Straßennetz wurde ausgebaut und 1756 eröffnete man den Grand Canal, der Dublin mit dem Fluss Shannon verbindet, der Nord-Süd-Achse der Insel. Zum Handelszentrum entwickelte sich Belfast, das nach den Textilkaufleuten auch Banken anzog – ein frühes Beispiel für die wachsende Kluft zwischen dem englisch und protestantisch geprägten Nordosten und dem Rest der Insel.

Mit der Gründung des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland 1801 rückte die übermächtige englische Wirtschaft noch näher. Nach einem kurzen Aufschwung infolge der napoleonischen Kontinentalsperre erlitt das Land mit der Großen Hungersnot von 1845-49, ausgelöst durch die Kartoffelfäule, die schlimmste Krise seiner Geschichte. Rund eine Million Einwohner starb, einer weiteren Million blieb nur die Auswanderung.

Dank seiner Fabriken kam der Norden besser durch die Krise. Baumwollfabrikanten in Belfast nutzten bereits Dampfmaschinen, beheizt mit Importkohle aus England und Schottland, oder die Wasserkraft. Der Schiffbau blühte, bis hin zur Konstruktion des Luxusdampfers „Titanic“ im frühen 20. Jahrhundert. Die Einwohnerzahl Belfasts vervielfachte sich. Dublin, dank seines Hafens ebenfalls ein Handelsknoten, entwickelte sich zum Verwaltungs- und Wissenschaftszentrum: Neben das altehrwürdige Trinity College trat 1854 die katholische Universität, später University College genannt. Im Süden und Westen blieb es bei einer bescheidenen Nahrungsmittel-Produktion, erfolgreiche große Firmen wie Jacob’s Biskuitfabrik und die berühmte Guinness-Brauerei in Dublin waren Ausnahmen.

Der Binnentransport wurde mit der Eröffnung des Royal Canals 1817 und des Ulster Canals 1841 einfacher. Eisenbahnen rollten seit 1834 zwischen Dublin und Wicklow und bald danach zu allen größeren Städten. Irische Ingenieure konstruierten kostengünstige Lokomotiven und Waggons, doch eine durchschlagende Industrialisierung scheiterte an der Abhängigkeit von England: Die finanzkräftige englische Wirtschaft dominierte den irischen Markt mit technischen Erzeugnissen, importierte aus Irland aber nur Nahrungsmittel und Textilien.

Als 1921 der Irische Freistaat gegründet wurde, später „Republik Irland“ genannt, blieb der am stärksten industrialisierte Norden ein Teil Großbritanniens. Der Staat bemühte sich um den Ausbau der Infrastruktur und des Binnenmarktes. 1929 nahm das Wasserkraftwerk in Ardnacrusha am Shannon den Betrieb auf, der erste große Strommeiler. Mit hohen Importzöllen versuchte die Regierung, die einheimische Produktion zu fördern und Irland erlebte einen bescheidenen Boom.

Da Exporterlöse jedoch langfristig ausblieben, geriet die Handelsbilanz in den fünfziger Jahren tief ins Minus, das Wachstum brach ein und die Regierung begann, mit Subventionen und sehr niedrigen Steuern um ausländische Investoren zu werben. Da auch nur niedrige Löhne gezahlt wurden, siedelten sich bald Unternehmen arbeitsintensiver Branchen wie der Textil- und Schuhproduktion und der Kunststoffverarbeitung an. Nach dem Beitritt Irlands zur Europäischen Gemeinschaft 1973 nutzten US-amerikanische Firmen die Insel als Sprungbrett auf die europäischen Märkte und bauten endlich auch Werke für hochtechnisierte Güter aus den Bereichen Elektronik, Maschinenbau, Pharmazie und Medizintechnik. Da ihre Zulieferer aber großenteils im Ausland saßen und die Gewinne ebenfalls ins Ausland abflossen, kam es nicht zu einer nachhaltigen Industrialisierung und das Land rutschte nach 1980 erneut in eine schwere Krise. Die Regierung versuchte daraufhin, die einheimische Wirtschaft zu fördern, doch als gegen Ende des 20. Jahrhunderts erneut ein Aufschwung einsetzte, insbesondere in der boomenden Informationstechnik, standen dahinter überwiegend wieder ausländische Investoren, die durch die niedrigen Steuern angelockt worden ware.