ZUR GESCHICHTE DER INDUSTRIEARCHITEKTUR

Zwei immer weiter optimierte Werkstoffe veränderten das Bauwesen während der Industriellen Revolution radikal: Der Schlüsselwerkstoff Eisen und der Beton. Mit Eisenkonstruktionen versuchte man in der britischen Textilindustrie etwa ab 1800 die Brandgefahr zu verringern. So kombinierte der Architekt Charles Bage in einer Flachsspinnerei in Shrewsbury gusseiserne Säulen und T-Träger mit tragendem Mauerwerk. In einem Fischmarkt in London übernahm 1835 das Eisenskelett erstmals allein die tragende Funktion, hier aus hygienischen Gründen.

Revolutionär wirkten dann die lichtdurchfluteten, ganz aus Eisen und Glas errichteten Bauten: Das erste war ein Palmenhaus im Londonder Stadtteil Kew, 1851 folgte Joseph Paxtons legendärer „Crystal Palace“ für die Weltausstellung in London. Paxton verwandte vorfabrizierte Glasscheiben und Eisen- bzw. Holzträger und nahm damit die Standardisierung vorweg, die im industrialisierten Bauen des 20. Jahrhunderts zur Norm wurde. Danach entstanden weitere Hallen aus Eisen und Glas für Ausstellungen und auch für Bahnhöfe - 1873 etwa die Londoner Endstation St. Pancras.

Das berühmteste Symbol der Zeit aber ist der eiserne Turm, den der Ingenieur Gustave Eiffel 1889 für die Weltausstellung in Paris errichtete. Ingenieure gewannen im Bauwesen zunehmend Einfluss: Während Architekten einen künstlerischen Anspruch vertraten, kannten sie die neuen Werkstoffe bestens und verstanden sich zudem auf Kostenkalkulation und technische Ausstattung, gerade für Fabrikbauten.

Die Eisenkonstruktionen wurden weiterentwickelt, als sich zeigte, dass sie nicht feuersicher waren, sondern bei hohen Temperaturen schmolzen. Man ummantelte sie nun mit Ziegeln oder Fliesen und als 1852 sichere Aufzüge entwickelt worden waren, bildeten diese Eisenskelette den tragenden Kern der ersten Wolkenkratzer, die vor allem in Chicago für Büros von Versicherungsgesellschaften in den Himmel wuchsen.

Neue Möglichkeiten für das Bauen mit Beton eröffnete der Portland-Zement, ein hocheffizientes neues Bindemittel, 1824 von dem Briten Joseph Aspdin entwickelt. Entscheidend war jedoch die Kombination von Beton mit Stahl. Die Idee hatte 1867 der französische Gärtner Joseph Monier: Er stellte daraus Pflanzenkübel her. Das bahnbrechende Potential erkannte sein Landsmann François Hennebique: Dank der innigen Verbindung von Stahlstäben oder Stahlgeflechten, die Zugkräfte aufnehmen, mit einer Hülle aus Beton, die Druckkräfte abfängt, können aus diesem Material gewaltige, frei tragende Strukturen gebaut werden.

Ab Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden aus Stahlbeton große überkuppelte Hallen und Hochhäuser: Den ersten europäischen Wolkenkratzer ließ die Royal Liver-Versicherung 1909 am Hafen von Liverpool errichten. Den nächsten Schritt schaffte in den zwanziger Jahren der Ingenieur Eugène Freyssinet: Er ließ die Stahlseile spannen, bevor sie mit Beton ummantelt wurden. Der „Spannbeton“ erwies sich als rissärmer und stärker belastbar, erlebte aber erst nach 1945 seinen großen Durchbruch.

Mit der zunehmenden Technisierung des Bauens spitzte sich der Gegensatz zwischen Ingenieuren und Architekten zu. Baumeister und Bauherren setzten der als „radikale Abstraktion“ abgelehnten Funktionalität mit dem „Historismus“ Stilformen vergangener Epochen entgegen. Sie nutzten die funktionalen und kostengünstigen Materialien Eisen und Beton, verkleideten die Außenseite ihrer Bauten jedoch mit Werksteinen oder Ziegeln. Auch die Verwaltungsgebäude zahlloser Fabriken dieser Zeit haben Rundbogenfenster, Ecktürmchen und mit mehrfarbigen Ziegeln reich ornamentierte Fassaden.

Deutlich wird der Zwiespalt auch in Entwürfen des angesehenen französischen Architekten Eugène-Emmanuel Viollet-Le-Duc, der Konstruktionsprinzipien der Gotik mit modernen Materialien wiederbelebte. Auch Vertreter der britischen „Arts-and-Crafts“-Bewegung setzten sich für handwerkliche Qualität ein, kamen aber an industriellen Massenprodukten nicht vorbei. Und die geschwungenen, organischen Formen des in ganz Europa verbreiteten „Art Nouveau“ – in Deutschland „Jugendstil“ - wurden gern in Eisen und Glas realisiert – selbst im Industriebau, wie das Portal zur Maschinenhalle der Zechen Zollern in Dortmund bezeugt.

Für eine durchdachte Verbindung von alt und neu setzte sich nach der Jahrhundertwende eine Gruppe deutscher Architekten ein, die großen Einfluss gewann. Wegbereiter war Peter Behrens, künstlerischer Beirat des Energie-Giganten AEG. Er errichtete in Berlin die Montagehalle einer Turbinenfabrik aus Beton, Stahl und Glas: Funktional konzipiert als lange, stützenfreie Halle mit Fenstern bis zum Dach und doch traditionsbewusst inszeniert, vor allem durch mächtige Pfeiler an den Ecken der Fassade, die massiv wirken, jedoch aus einer dünnen Betonhaut mit einer Stahlgitter-Verstärkung bestehen und keine tragende Funktion mehr erfüllen.

Innovative Funktionalität und spektakuläre Inszenierung verbindet auch die expressionistische Hutfabrik in Luckenwalde nahe Berlin, die Erich Mendelsohn entwarf: Den aus klaren geometrischen Elementen komponierten Betonbau akzentuiert ein hoch aufragender Mittelteil für die neuartigen Abluftschächte. Bekannt wurde Mendelsohn zudem für Kaufhausbauten mit eleganten gebogenen Fensterbändern.

Die Ikone des neuen Industriebaus schuf Walter Gropius, ehemals Mitarbeiter bei Behrens, 1911 mit den „Fagus-Werken“ in Alfeld. Als Vorläufer kann die Teddybären-Fabrik der Firma Steiff in Giengen bei Ulm von 1903 gelten, vor deren tragender Konstruktion eine doppelschalige Wand aus Eisen und Glas hängt. Gropius entwarf für die Alfelder Fabrik eine durchgehend transparente Fassade aus Fenstern in dünnen Eisenrahmen und demonstrierte an den Ecken unübersehbar das Konstruktionsprinzip: Sie bestehen komplett aus Fenstern, ohne Eckpfeiler, denn die tragenden Stützen sind ins Innere des Gebäudes verlagert. Der „Curtain-Wall“, die vorgehängte Fensterfassade aus seriell produzierten Elementen, entwickelte sich später vor allem in Büro-Hochhäusern zu einem prägenden Architektur-Merkmal des 20. Jahrhunderts.

Die radikalste Lösung für den Industriebau wurde in den USA gefunden: Ebenerdige Hallen traten an die Stelle mehrgeschossiger Großbauten. Albert Kahn stellte 1927 in Dearborn bei Detroit für die Ford-Werke, die als erste konsequent die Fließband-Arbeit einsetzten, die erste Großanlage fertig: Eine riesige Halle aus vorgefertigten Stahlmodulen, schnell und kostengünstig errichtet, in der die Autos nacheinander alle Fertigungschritte durchliefen. Soll der Produktionsablauf geändert oder die Anlage vergrößert werden, können Stahlmodule schneller umgebaut werden als ein Betonbau, der Verschalungen und Trocknungszeit braucht. Der Stahlskelettbau erfüllt damit perfekt die Anforderungen der kapitalistischen Industrieproduktion, die technisch und wirtschaftlich immer variabel sein muss.