ZUR INDUSTRIEGESCHICHTE DER UKRAINE
Die Landesteile der Ukraine haben sich äußerst unterschiedlich entwickelt, denn sie sind sehr ungleich mit natürlichen Ressourcen versorgt und die Fläche des heutigen Staates war für Jahrhunderte auf drei fremde Reiche verteilt. Das fruchtbare Schwarzerde-Gebiet westlich des Dnepr gehörte lange zur Großmacht Polen-Litauen, das Gebiet östlich des großen Stroms, mit reichen Vorkommen an Kohle, Eisen- und anderen Erzen, zum Reich der Zaren. Im äußersten Westen zählte Galizien zu den vernachlässigten Regionen des Habsburger-Imperiums.
Die westliche, „rechtsufrige“ Ukraine fiel bei den Teilungen Polens am Ende des 18. Jahrhunderts ebenfalls an die Zaren. In dieser Zeit errichtete der grundbesitzende polnische Adel dort erste Getreidemühlen und Fabriken zur Verarbeitung von Agrarprodukten, insbesondere Zuckerrüben. Die Moskauer Regierung gründete aus strategischen Motiven am Schwarzen Meer mehrere Häfen, darunter die spätere Metropole Odessa. Ebenfalls für das Militär wurde 1795 in Luhansk im kohlereichen Donezbecken ein erstes Eisenwalzwerk eröffnet. Die technische Ausstattung kam aus Großbritannien.
Als Anstoß zur Industrialisierung gilt 1861 die Aufhebung der bäuerlichen Leibeigenschaft durch Zar Alexander II. (1818-81), die Arbeitskräfte für die Fabriken freisetzte. 1866 begann der Bau der ersten Eisenbahnstrecke, auf der Weizen von Balta nach Odessa transportiert werden konnte. Wichtiger war die 1884 eröffnete „Katharinen-Eisenbahn“, die von den bereits boomenden Kohlegruben im Donezbassin über Jekaterinoslaw (später Dnipropetrowsk, heute Dnipro) zu den Eisenerzminen von Krywyj Rih führte. In den 1860er und 70er Jahren entstand in der kurz „Donbass“ genannten Region mit immer neuen Kohlegruben, Eisenhütten und Ansiedlungen eine gewaltige Industrielandschaft. Mittelpunkt wurde die Stadt Donezk, die sich aus einem Hüttenwerk des walisischen Industriellen John Hughes entwickelte und daher anfangs Yuzovka hieß. Das Kapital für diesen Aufschwung kam zum größten Teil aus dem Ausland, die Arbeiter stammten überwiegend aus Russland. Auch die Agrarindustrie in der westlichen Ukraine expandierte jetzt rasant, vor allem Zuckerproduktion und Getreide-Export. Im wenig entwickelten Galizien hingegen milderte nur die Ausbeutung der bescheidenen Erdöl-Vorkommen die Armut.
Zur Jahrhundertwende war die Ukraine immer noch überwiegend agrarisch. Aufgrund der einseitigen Ausrichtung der Industrie zeichnete sich aber schon eine fatale Abhängigkeit ab: Aus der ukrainischen Industrie und Landwirtschaft gingen Rohstoffe und Halbfabrikate zur Weiterverarbeitung nach Russland und Fertigwaren musste man dann von dort importieren.
Den 1917 gegründeten ersten ukrainischen Nationalstaat verleibte sich die UdSSR 1920 gewaltsam ein. Danach investierte die Regierung in Moskau massiv in den Wiederauf- und Ausbau der im Ersten Weltkrieg zerstörten Industrie. U.a. entstanden in Charkiw ein Stahl- und ein Traktorenwerk, in Zaporižžja ein Stahlkombinat und eine Fabrik für Mähdrescher, in Luhansk eine Lokomotivenfabrik. Am Dnjepr wurde 1932 das größte Wasserkraftwerk der Erde fertiggestellt. 1937 zählte die Ukraine bei Roheisenproduktion und Kohleförderung zu den führenden Ländern der Welt. Der südöstliche Landesteil entwickelte sich zu einer modernen Industrieregion, landesweit verdoppelte sich bis zum Zweiten Weltkrieg die Stadtbevölkerung, doch das eklatante regionale Ungleichgewicht blieb erhalten.
Nach dem Krieg förderte die Regierung der Sowjetunion erneut die schnelle Instandsetzung der zerstörten Werke. Schon 1950 wurde die Vorkriegsproduktion übertroffen, doch die Bevölkerung musste drastische Versorgungsmängel hinnehmen. In Kiew gründete man 1946 den Luftfahrtkomplex „Antonow“, in dem die gleichnamigen Flugzeuge und auch Busse gebaut wurden, in Charkiw entstand 1955 die Tupolev 104, der zweite Passagier-Düsenjet der Welt, der heute im Luftfahrtmuseum Kiew steht. Bald kam etwa die Hälfte der Panzer und Raketen der UdSSR aus der Ukrainie und das Land entwickelte sich zu einem Zentrum des militärisch-industriellen Komplexes.
Wie in der Zwischenkriegszeit beruhte das Wachstum aber auf zunehmendem Einsatz von Ressourcen und Arbeitskräften, die Produktivität wurde nicht verbessert. So wuchs die Wirtschaft ab Mitte des Jahrhunderts nur noch wenig. Zudem investierte die Zentralregierung nun stärker in die asiatischen Teilrepubliken und die Beutung der Ukraine für den Gesamtstaat sank. Da sie zunehmend auch die neuen Energieträger Erdöl und Erdgas importieren musste, verstärkte sich ihre Abhängigkeit von Russland weiter.
Ukraine war eine Unionsrepublik der im Jahr 1991 aufgelösten 'Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR)'.
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