ZUR INDUSTRIEGESCHICHTE VON GEORGIEN

Im Norden an die Gipfel des Kaukasus, im Westen ans Schwarze Meer grenzend und im Osten nicht weit vom Kaspischen Meer entfernt: Georgien ist seit Jahrtausenden eine Drehscheibe für den Austausch zwischen den vier Himmelrichtungen. Bereits in der Antike querten Reisende den Kaukasus durch die Darial-Schlucht, später wurde die Route zur „Georgischen Heerstraße“ ausgebaut. Auf Seitensträngen der Seidenstraße zogen Handelskarawanen durch Georgien, seit gut hundert Jahren queren Ölpipelines das Land.

Georgiens Bodenschätze wurden schon früh ausgebeutet. Manche Forscher zählen das Land zu den ersten Kulturen, die in vorgeschichtlicher Zeit Kupfer zu schmelzen verstanden. An die Gewinnung von Gold am Rand des Schwarzen Meers erinnert die antike Sage vom Goldenen Vließ. Mit der systematischen Förderung des Bergbaus begannen die Georgischen Bagratiden, die im 18. Jahrhundert ein kurzlebiges Königreich regierten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gliederten es die russischen Zaren in ihr Imperium ein, intensivierten den Handel, importierten die begehrte georgische Rohseide und begannen mit dem Abbau der Steinkohle in Tkibuli.

Dann löste der Energie-Hunger der europäischen Industrienationen eine rasante Entwicklung aus: Um sich das Erdöl der Region zu sichern, kamen die mächtigsten Bankiers- und Unternehmer-Dynastien nach Georgien. Walter von Siemens, Bruder des erfindungsreichen Unternehmers Werner von Siemens, baute die ersten Bohrtürme des russischen Reichs, um georgisches Öl zu fördern. Ludwig Nobel, Bruder des Dynamit-Erfinders Alfred, Ölmagnat im (damals russischen) Baku am Kaspischen Meer, errichtete in Batumi am Schwarzen Meer die ersten Tanks und verschiffte das „schwarze Gold“ von dort ins Mittelmeer. Alfons Rothschild ließ 1883 eine Bahnlinie zwischen Baku und Batumi bauen, um seine Raffinerie an der Adria im großen Stil versorgen zu können. 1892 schickte Marcus Samuel, Mitbegründer der „Royal Dutch Shell“, schließlich einen Öltanker von Batumi auf die Fahrt in den Fernen Osten. Daraufhin begann die Planung für eine Pipeline zwischen Baku und Batumi, die 1907 eröffnet wurde. In Batumi dokumentiert heute ein Museum die Geschichte der Ölindustrie.

Zur gleichen Zeit investierten sowohl der russische Zar als auch der deutsche Krupp-Konzern in den Abbau der bedeutenden Mangan-Vorkommen in der Schlucht des Kvirila-Flusses. So entstand die Bergbaustadt Tschiatura. Die Seiden-Herstellung entwickelte sich vom bäuerlichen Gewerbe zur Industrie, unterstützt vom 1887 in Tbilissi gegründeten „Kaukasischen Institut für Seidenraupenzucht“. Heute erinnert in dem Gebäude ein Museum an Georgiens untergegangene Seiden-Herstellung. Mit den Industrien entwickelte sich eine selbstbewusste Arbeiterschaft, die im vor-revolutionären Russland eine wichtige Rolle spielte.

Nach dem Ersten Weltkrieg, der schwere Schäden hinterließ, und der Revolution von 1918 erklärte sich Georgien für unabhängig, doch 1921 annektierte die Sowjetunion das Land und startete eine umfassende Industrialisierung. Mit dem Kraftwerk in Awtschala bei Tbilissi begann 1927 die Nutzung der Wasserkraft, das Werk am Fluss Rioni nahe der expandierenden Industriestadt Kutaissi erzeugte ab 1933 Strom. Um den Transport von Rohöl aus Baku – nun in der Sowjetrepublik Aserbeidschan – auszuweiten, gab die Regierung 1930 eine weitere Pipeline nach Batumi in Auftrag.

1933 ging in Sestaponi das Eisenwerk in Betrieb, das Mangan aus den Minen von Tschiatura zu Speziallegierungen verarbeitete. In Rustawi, dem neuen Zentrum der Schwerindustrie, produzierte ab 1950 die größte Stahlhütte des Kaukasus nahtlose Rohre. Von den dortigen Chemie-Fabriken ist der Dünger-Hersteller „Azot“ noch aktiv,  mehrere der Zementwerke betreibt heute der Konzern „HeidelbergCement“. In Tbilissi wurde 1941 ein Werk für die Produktion von Kampfflugzeugen errichtet, in Kutaissi rollten ab 1951 KAZ-Lastwagen von den Bändern einer großen Autofabrik. Dort entstand auch ein Kombinat für Seidenherstellung, in Tbilissi eröffneten Textilfabriken und die Verarbeitung von Lebensmitteln wie Tee, Trauben und Zitrusfrüchten wurde ebenfalls ausgebaut.

Die vorübergehenden Erfolge der Industrialisierung wurden jedoch mit schweren Umweltschäden und einer fatalen Abhängigkeit zwischen den Sowjetrepubliken erkauft. Daher leidet Georgien, das sich 1991 für unabhängig erklärte, seit dem Zerfall der UdSSR vor allem in der Versorgung mit Energie und Rohstoffen unter dramatischen Engpässen.
 

Georgien war eine Unionsrepublik der im Jahr 1991 aufgelösten 'Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR)'.
Lesen Sie daher zur Abrundung auch unsere Beiträge zur Industriegeschichte der anderen ehemaligen UdSSR-Republiken


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