ZUR GESCHICHTE DER PAPIERHERSTELLUNG
Alles begann im Reich der Mitte. In China entwickelte sich früh eine umfangreiche Bürokratie mit vielen Beamten. Vermutlich deshalb kam dort im 2. Jahrhundert v.Chr. ein Verfahren zur Herstellung von Papier auf, das im Prinzip bis heute weltweit angewendet wird. Der Rohstoff hat sich im Lauf der Zeit zwar verändert und die Abläufe wurden mechanisiert, doch die drei Kern-Arbeitsschritte sind noch dieselben: Zur Vorbereitung wird in einer Bütte ein Faserbrei zubereitet, in China einst wohl aus Baumrinde, Hanf und Lumpen, alle fein zerstampft und mit Wasser vermischt. Im ersten Schritt nimmt dann ein Papiermacher ein Sieb von der Größe eines Bogens Papier und schöpft eine Portion Faserbrei aus der Bütte. Ein zweiter Handwerker rollt das Sieb auf einem Tisch ab, so dass das nasse Blatt glatt darauf zu liegen kommt. Wenn sich ein ordentlicher Stapel angesammelt hat, kommt ein dritter Papiermacher, um die frischen Bögen zu pressen und die verbliebene Feuchtigkeit zu entfernen.
Die Chinesen hielten die Technik des Papiermachens lange geheim. Erst um das Jahr 750 herum fielen einer arabischen Armee in Samarkand chinesische Kriegsgefangene in die Hände, die das Geheimnis preisgaben. Die Araber änderten den Rohstoff, da ihnen vor allem Hanf und Flachs zur Verfügung standen, und verbesserten die Beschreibbarkeit des Papiers, indem sie auf die Oberfläche einen Leim aus Stärke aufbrachten. Das neue Schreibmaterial verbreitete sich dann durch die expandierenden arabischen Reiche und bildete eine Grundlage für die vielfältig aufblühende Kultur der Gelehrsamkeit, der Poesie und Kalligrafie in der islamischen Welt.
Europa erhielt das Papier aus den Händen der Araber, denn sie stellten es im Mittelalter auch in ihren Besitztümern nördlich des Mittelmeers her: Nachweisbar ist die Produktion im 12. Jahrhundert zumindest in der Region um Valencia in Spanien und in Palermo. Nach dem Zerfall der arabischen Emirate in Europa lernten christliche Gelehrte, Händler und Beamte die Vorzüge des Materials gegenüber dem üblichen Pergament schnell schätzen. Die Papiermacherei wurde übernommen: Als Rohstoff verwandte man nun "Hadern", Lumpen aus Baumwolle und Leinen, und verbesserte bald die Technik. Eine Papiermühle in Fabriano in Mittelitalien führte um 1250 ein Stampfwerk zur Vorbereitung des Faserbreis ein: Metallbeschlagene Hämmer, angetrieben von einem Wasserrad. Zur Oberflächenleimung verwandten die italienischen Papiermacher aus Hörnern, Hufen und Fellen von Tieren gewonnene Gelatine. Dadurch verlief die Tinte auf dem Papier weniger. Und da man inzwischen verstand, lange gleichmäßige Drähte aus Kupfer zu ziehen, wurden die Siebe zum Schöpfen des Papierbreis von nun an aus Kupferdraht hergestellt. Auch das Wasserzeichen wurde damals eingeführt: Es entsteht, wenn man auf die Oberfläche des Siebs einen gebogenen Draht aufnäht.
Im 14. Jahrhundert begann recht gemächlich der Siegeszug des Papiers durch Europa: Papiermühlen entstanden wohl 1338 im französischen Troyes, 1390 in Nürnberg, 1411 in Marly in der Schweiz und 1494 in der englischen Grafschaft Hertforshire, die später in der Industrialisierung der Papierproduktion erneut eine führende Rolle spielte. Die Nachfrage beschleunigte sich, als sich die Ideen der Renaissance durchsetzten, denn jetzt wurde mehr und mehr geschrieben: in Kanzleien, Banken und Markthallen, bei Gericht und in den Schulen. Die "Weiße Kunst", wie viele Papiermacher ihr Handwerk bezeichneten, fand ihre Ergänzung in der "Schwarzen Kunst", als Gutenberg 1455 das Drucken mit beweglichen Lettern entwickelte. Nun war erstmals die Verbreitung von Flugschriften und Büchern in großen Auflagen möglich – ein nahezu unstillbarer Bedarf an Papier war die Folge. In dieser Phase ging die Führungsrolle in der Papierherstellung von Italien zuerst an den Norden Frankreichs über und dann, als die protestantischen Papiermacher im 17. Jahrhundert vertrieben worden waren, an Holland. Von dort kam auch der "Holländer", der das Stampfwerk zur Zerkleinerung der textilen Rohstoffe ersetzte: In einem Trog mit einem feststehenden Messer auf dem Boden und einer mit Messern besetzten Walze wurden die Baumwoll- und Leinen-Lumpen so viel effizienter in Fasern zerschnitten, dass Papiermühlen, die sich die Innovation nicht leisten konnten, bald vom Markt verschwanden.
Der wichtigste Fortschritt folgte zu Beginn der Industrialisierung: Die Papiermaschine, die anstelle einzelner, handgeschöpfter Bögen eine lange Papierbahn erzeugt. Das Prinzip entwickelte der Franzose Nicolas Louis Robert 1798: Mit einer Handkurbel trieb er ein Sieb aus flexiblem Drahtgeflecht an, das endlos um zwei Walzen umlief. Während es sich vorwärts bewegte, schöpfte eine Welle mit breiten Schaufeln den Papierbrei darauf. Haken der neuen Apparatur: Nach 12-15 m musste der Papierstreifen immer noch per Hand abgeschnitten werden, weil das nasse Material sonst beim Aufwickeln verklebte und verfilzte. Erst 1829 brachte der hochentwickelte britische Maschinenbau die entscheidende Ergänzung zu Roberts System hervor: Man führte die Bahn zwischen mehreren, mit Dampf geheizten Walzen durch, die das Papier so gut trockneten, dass es sofort zu einer mächtigen Rolle aufgewickelt werden konnte. Danach schossen in ganz Europa Papierfabriken aus dem Boden, die von Dampfmaschinen angetrieben wurden und auf das Mühlrad nicht mehr angewiesen waren.
Ungelöst war jedoch der dramatische Engpass beim Rohstoff, der sich schon seit langem abgezeichnet hatte. Das Aufkommen an Lumpen reichte bei weitem nicht aus, um die Papiernachfrage zu befriedigen. Nach zahllosen Versuchen mit Stroh, Rinden und Disteln gelang dem deutschen Erfinder Friedrich Gottlob Keller 1843 der Durchbruch. Er schaffte es, Holzstücke so fein zu schleifen, dass er aus den Fasern, dem "Holzschliff", und einem kleineren Anteil Lumpen Papier herstellen konnte. Allerdings zeigte sich bald, dass holzhaltiges Papier rasch vergilbt und schnell reißt. Ursache ist das Lignin. Dieser natürliche Holzbestandteil lässt sich aus dem Rohstoff entfernen, indem man das zerkleinerte Holz auskocht. Für das Kochen in einer Sulfitlösung erhielt der amerikanische Chemiker Benjamin Chew Tilghman in den 1860er Jahren mehrere Patente. Ergebnis war der Zellstoff: Ein neuer, in der Herstellung relativ teurer Rohstoff, aus dem sich jedoch ohne Zusatz von Lumpen Papiere von hoher Qualität herstellen lassen.
Die Basis für die großindustrielle Produktion war damit gelegt. Holzschleifereien und Zellstofffabriken verlagerten sich zunehmend in die Gegenden, wo der neue Rohstoff zu finden war: die waldreichen Regionen Schwedens und Finnlands. Die chemische Verfeinerung des Prozesses warf jedoch neue Probleme auf. Obwohl Zellstoff schon einen recht hohen Weißegrad hat, setzte die Industrie bald in großem Stil die Bleiche mit Chlor ein, um ihn weiter aufzuhellen. Mittlerweile ist weithin bekannt, welche schweren Gesundheits- und Umweltschäden der hochgiftige Stoff auslösen kann, und man hat begonnen, die Verwendung zu verringern. Ein weiteres Folgeproblem ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt geworden. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts versuchte die Industrie, in der Produktion einen weiteren Arbeitsschritt einzusparen: die separate Leimung der Oberfläche. Stattdessen wurde der Leim schon in den Papierbrei gegeben. Da ihn die Fasern aber nicht gut aufnahmen, setzte man Aluminiumsulfat zu. Aus diesem Salz entwickelt sich im Lauf der Zeit jedoch Schwefelsäure, die das Papier nach und nach zerfrisst. Ein Großteil der Bücher, Akten und Zeitungen, die zwischen 1840 und 1980 gedruckt wurden, ist daher nicht alterungsbeständig und muss, wenn er künftigen Generationen erhalten bleiben soll, heute aufwändig entsäuert und restauriert werden.