ZUR INDUSTRIEGESCHICHTE VON SCHWEDEN

Schwedens langer Weg zur Industrienation nahm einen typischen Verlauf, weil er mit Überschüssen aus der Landwirtschaft und einer Zunahme der Bevölkerung begann. Dazu kamen jedoch sehr spezielle, schwedische Faktoren: weitsichtige staatliche Eingriffe und der groß angelegte Export der reichlich vorhandenen Rohstoffe Eisenerz und Holz. Kohlevorkommen hingegen sind in Schweden knapp.

Bis zum Ende des 17. Jahrhundert spielte auch das Kupfer aus dem traditionsreichen Bergwerk in Falun eine wichtige Rolle: Schweden finanzierte damit sein expansives Großmachtstreben. Die ersten Vorboten des Industriezeitalters zeigten sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Der Unternehmer Jonas Alströmer gründete eine teilweise bereits mechanisierte Textilmanufaktur in Alingsås und der vielseitige Ingenieur Mårten Triewald ließ in der Eisenerzmine von Dannemora die erste Dampfmaschine aufbauen. Beide Unternehmungen schlugen jedoch fehl und Schweden blieb noch lange ein armes Agrarland.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts setzte dank einer grundlegenden Modernisierung der Landwirtschaft ein erster Wirtschaftsaufschwung ein, begleitet von Bevölkerungswachstum. Die Basis für den späteren Wohlstand legte jedoch die Politik: Nachdem Schweden 1809 die Herrschaft über Finnland verloren hatte, begrub man alle Großmachtträume: Die Landesgrenzen haben sich seit 1815 nicht mehr geändert. Die schwedische Armee wurde jetzt zum Bau des Götakanals eingesetzt, der von der Nordsee bei Göteborg quer durch Schweden zur Ostsee führte und nicht zuletzt als Symbol nationaler Leistungsfähigkeit dienen sollte. Wirtschaftlich war die Wasserstraße bei der Fertigstellung schon fast überholt, denn das Eisenbahnzeitalter hatte begonnen. Ein staatliches Eisenbahn-Bauprogramm wurde aufgelegt und 1864 gingen die Hauptstrecken von Stockholm nach Malmö im Süden und nach Göteborg im Westen in Betrieb. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts folgten Fernverbindungen in den Norden, darunter die Eisenerzbahn von Luleå nach Narvik in Norwegen, die die Minen sowohl an die Ostsee als auch an den Atlantik anschloss. 

Eine wichtige Rolle spielte auch die Bildungspolitik: Neben den beiden Traditionsuniversitäten in Lund und Uppsala war für die technische Ausbildung 1827 in Stockholm die "Kungliga Tekniska Högskolan" begründet worden, heute das "Royal Institute of Technology". Zudem führte Schweden 1842 die allgemeine Schulpflicht ein.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts setzte dann ein Export-Boom ein, der tendenziell für rund hundert Jahre anhielt. Insbesondere Englands expandierende Industrien nahmen Unmengen Rohstoffe ab: Holz aus dem Norden, Eisen aus Mittelschweden und Hafer als Pferdefutter aus den immer noch dominierenden Agrarregionen. Investitionen mussten weitgehend mit ausländischem Kapital finanziert werden, doch die Wirtschaft wuchs und die zunehmende Binnennachfrage trieb auch die Mechanisierung der Textilindustrie voran, insbesondere in der Region um Borås und der aufstrebenden Industriestadt Norrköping.

Gegen Ende des Jahrhunderts profitierte Schweden stark von der "Zweiten Industriellen Revolution", in der neue Wirtschaftszweige wie Energiewirtschaft, Chemie und Maschinenbau die Schwerindustrie überflügelten. Da sich die Papierherstellung auf Holz-Basis durchgesetzt hatte, zählte in Schweden auch die Papierindustrie dazu. Gespeist von den immensen Ressourcen an Wasserkraft entstand eine florierende Elektroindustrie, an der Spitze die Firma "Allmänna Svenska Elektriska Aktiebolaget", kurz ASEA, heute ABB. Zu den schwedischen Erfolgen in dieser an Erfindungen reichen Epoche gehörten neue Formen von Kugellagern, mit denen sich SKF, die "Svenksa Kugellagerfabriken", etablierten. Auch der Telefonhersteller Ericsson geht auf diese Zeit zurück: Lars Magnus Ericsson eröffnete 1876 in Stockholm seinen ersten Laden – im selben Jahr, in dem Alexander Graham Bell in den USA sein Telefon zum Patent anmeldete – und schon 1885 verfügten die Stockholmer über die meisten Telefone weltweit.

Als führende Industrienation etablierte sich das Land endgültig in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Während des Ersten Weltkriegs belieferte die unbeeinträchtigte schwedische Industrie alle Parteien, nicht zuletzt mit Stahl, und konnte dafür weit überhöhte Preise verlangen. Damit bekam das notorisch von ausländischem Kapital abhängige Land seine Verschuldung unter Kontrolle. Als nach dem Krieg die europäischen Märkte in die Krise taumelten, halfen die jetzt verfügbaren Investitionsmittel und die heimische Nachfrage, die schwedische Wirtschaft zu stabilisieren. Nun entwickelte sich mit den Firmen Scania, Vabis und Volvo auch die Autoindustrie, Saab folgte nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Wirtschaftsboom nach 1945 erlebte das "schwedische Modell", durch staatliche Lenkung der Arbeits- und Kapitalmärkte eine produktive Wohlstandsgesellschaft zu initiieren, dann seine Blütezeit.