ZUR INDUSTRIEGESCHICHTE VON SPANIEN

Spanien hätte früh zu den großen europäischen Industrienationen gehören können, weil in seinen Gebirgen ein immenser Reichtum an Bodenschätzen ruht, doch die politische Entwicklung verzögerte die Modernisierung um mehr als ein Jahrhundert.

In der Frühgeschichte beuteten einheimische Iberer und Tartesser wie auch phönizische Seefahrer Bodenschätze aus, in der Antike kämpften die Großmächte Karthago und Rom darum. Die siegreichen Römer bauten dann Gold in Las Medulas, Zinnober (Quecksilbersulfid) in Almadén sowie Silber und Kupfer am Rio Tinto in quasi-industriellem Maßstab ab. Danach flaute der Bergbau für Jahrhunderte ab. Nur das Quecksilber aus Almadén, mit dem sich kleinste Gold- und Silber-Splitter aus dem Wirtsgestein lösen lassen, war auch in der maurischen Epoche gefragt – und ebenfalls in der darauf folgenden Glanzzeit des spanischen Imperiums, die sich durch die Ausbeutung des Edelmetallreichtums in den südamerikanischen Kolonien entwickelte.

Der Niedergang der spanischen Macht ab dem 17. Jahrhundert ging mit einer langen wirtschaftlichen Stagnation einher. Die Landwirtschaft, teils in kleinste Anbauflächen zersplittert, teils im Besitz desinteressierter Latifundienbarone, blieb rückständig, die Bevölkerung verarmte und die Monarchen führten den Staat von einem Bankrott in den nächsten. Immerhin förderte die Krone Betriebe wie die Waffenfabrikation in Toledo und Trubia oder die Glashütte von La Granja. Im Baskenland wurde ab dem 17. Jahrhundert Eisenerz verarbeitet, daneben waren Papier und Alkoholika sowie meist in Barcelona hergestellte, farbig bedruckte Textilien Spaniens einzige nennenswerte Produktionsgüter.

Nachdem sich die Länder Südamerikas 1824 von spanischer Herrschaft befreit hatten, waren vom einstigen Kolonialimperium nur noch die Karibikinseln Puerto Rico und Kuba übrig – letztere entwickelte sich dank der rasant expandierenden Zuckerrohrplantagen zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor: 1860 deckte die mit Dampfmaschinen und Schmalspurbahnen ausgerüstete, hochmoderne Zuckerindustrie Kubas rund ein Drittel des weltweiten Bedarfs. Voraussetzung war aber die regelmäßige Versorgung mit Sklaven, die Spanien aus Westafrika nach Kuba verschiffte – gegen den Widerstand der Briten, die ab 1807 weltweit das Verbot des Sklavenhandels durchzusetzen versuchten. Doch für das verarmte „Mutterland“ waren neben Zucker, Kaffee, Tabak und Rum vor allem die massiven Kapitaltransfers aus Kuba unverzichtbar.

Ein Beispiel für den im Detail wenig erforschten direkten Einfluss des Sklavenhandels auf die Industrialisierung liefert die berühmte Geschichte des Frachtschiffs „Amistad“: Kapitän Ramón Ferrer legte die Profite aus Schmuggel und Menschenhandel in neuester Technik an: Dampfschiffen, Eisenbahnen und Hafenausbauten – bis 1839 vor Kuba Sklaven auf der „Amistad“ revoltierten und ihn töteten. Erst 1886 verbot die spanische Regierung die Sklaverei, 1898 wurde auch Kuba unabhängig.

In Spanien selbst kam zu einem ersten Industrialisierungsschub, als 1832 in Barcelona die erste Baumwollfabrik eröffnete, die mit Dampfkraft betrieben wurde. Mechanische Webstühle folgten und bald bildete sich um die katalanische Metropole eine bedeutende Textilregion, die auch chemische und metallverarbeitende Betriebe anzog.

Zu einem weiteren Impuls kam es 1868: Wegen des eklatanten Staatsdefizits verstaatlichte die Regierung die Bergbaurechte und verpachtete sie dann an Investoren. Ein Bergbau-Fieber war die Folge: Am Rio Tinto begann wieder die Kupfergewinnung, in Almadén der Quecksilberabbau, bei Cartagena förderte man Blei, in Asturien Kohle, im Baskenland Eisenerz. Da im Inland das Kapital fehlte, investierten jedoch überwiegend auswärtige Firmen. Die spanische Wirtschaft profitierte wenig, denn ein Großteil der Gewinne floss nach Frankreich und England ab und auch die Rohstoffe wurden dort weiterverarbeitet.

In der baskischen Provinz Vizcaya aber schossen Erzbergwerke und Stahlhütten aus dem Boden, weil Großbritannien gewaltige Mengen Eisen nachfragte. Auf dem Rückweg brachten die Frachter britische Kohle mit, die besser und billiger war als die Vorkommen im benachbarten Asturien, so dass dort die Förderung stagnierte. Rund um Bilbao dagegen entwickelte sich auch eine erfolgreiche Werftindustrie und um die Jahrhundertwende besaß das Baskenland eine der größten Handelsflotten Europas.

Dennoch reichte es nur zu einer „halben“, peripheren Industrialisierung, denn den von rauchenden Schloten geprägten Küstenstreifen stand das von der rückständigen Landwirtschaft dominierte zentrale Hochland gegenüber. Spanien blieb ein Agrarland mit einer hohen Auswandererquote, zerrissen von sozialen Gegensätzen, die 1936 schließlich in einen erbittert geführten Bürgerkrieg mündeten, der das Land auch ökonomisch weit zurückwarf.

Danach deklarierte der vom Ausland isolierte Diktator Franco eine entbehrungsreiche Autarkie-Politik. Um die industrielle Basis zu diversifizieren, wurde 1941 das Instituto Nacional de Industria (INI) gegründet. Schlüsselbetriebe wie der traditionsreiche Autohersteller Hispano-Suiza und das Werk des Ford-Konzerns wurden verstaatlicht. Auch bei der 1950 gegründeten Firma Seat, die PKWs unter Lizenz von Fiat baute, hielt das INI die Mehrheit der Anteile.

Doch angesichts der schwachen Inlandsnachfrage und des Kapitalmangels ließ sich die Wirtschaft mit protektionistischen, restriktiven Maßnahmen kaum beleben. Für eine Wende sorgte erst der 1959 verabschiedete „Stabilisierungsplan“, der Spanien massive internationale Hilfszahlungen eintrug. Zugleich öffnete die Regierung das Land für Investoren, so dass die Industrie grundlegend modernisiert werden konnte. Das in den 60er Jahren folgende „spanische Wirtschaftswunder“ fußte zu einem guten Teil auf ausländischen Autokonzernen wie Fiat und Renault, die ihre Lizenzproduktion in Spanien erheblich ausweiteten. Zweite Säule war die chemische Industrie, die – ebenfalls oft mit ausländischem Kapital – Kunststoffe, Pharmazeutika und Düngemittel erzeugte. Auch die Elektroindustrie legte zu, nicht zuletzt wegen der wachsenden Inlandsnachfrage nach Haushaltsgeräten.

Die Regierung förderte mit staatlichen Mitteln den Export und unterstützte die Expansion der beschäftigungsintensiven asturischen Kohlebergwerke und baskischen Stahlhütten. Das INI versuchte den Schiffbau durch den Zusammenschluss der großen Werften konkurrenzfähig zu halten, während die in kleinere Betriebe zersplitterte katalanische Textilindustrie in die Krise rutschte. Obwohl die Anpassung an die Weltwirtschaft noch nicht abgeschlossen war, hatte sich Spanien zu Beginn der siebziger Jahre zu einer führenden Industrienation entwickelt.