ZUR INDUSTRIEGESCHICHTE VON ISLAND

Lange gehörte die Vulkaninsel zu den ärmsten Ländern Europas, denn nur ein minimaler Teil des Bodens eignet sich für landwirtschaftliche Nutzung und Rohstoffe gibt es kaum. So entwickelte sich das Land nie zu einem Industriestaat – dass es gegen Ende des 20. Jahrhunderts schließlich wohlhabend wurde, verdankte Island seinem boomenden Dienstleistungssektor.

Als einziger natürlicher Rohstoff wurde Schwefel, der vor allem aus vulkanischen Aktivitäten entsteht, in großem Maßstab abgebaut. Während des Mittelalters wurde das Mineral als antibakterieller Wirkstoff in der Medizin und für die Farbstoff-Herstellung gebraucht, die Nachfrage explodierte schließlich mit der Verbreitung der Feuerwaffen ab dem 14. Jahrhundert, weil man Schwefel für das Schießpulver benötigte. Im Schwefel-Handel spiegelt sich der beherrschende Einfluss ausländischer Mächte über Island: Im 12. Jahrhundert kontrollierte der König von Norwegen den Abbau, dann ging das Geschäft an Engländer über, die eigentlich zum Fischfang nach Island gesegelt waren und Ende des 15. Jahrhunderts übernahmen es Kaufleute der deutschen Hanse. Schwefel wurde vor allem um den Mývatn-See und in Krýsuvίk auf der Reykjanes-Halbinsel im Tagebau ergraben, der wichtigste Export-Hafen war Húsavίk. Die Profite sollen atemberaubend gewesen sein und 1561 sicherte sich der dänische Landesherr ein Monopol. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts waren die Vorkommen weitgehend erschöpft, der Abbau lief aber noch bis ins 20. Jahrhundert.

1602 führte der dänische König dann ein allgemeines Handelsmonopol ein, das die Insel für Jahrhunderte in bittere Armut stürzte, da zudem die Bauern in strenger Leibeigenschaft gehalten wurden. So durften sie nur zum Fischen ausfahren, wenn die Feldarbeit ruhte und ruderten noch in offenen Booten, als Ausländer längst mit Segelschiffen Fischfang in isländischen Gewässern betrieben. Erst nach Aufhebung des Handelsmonopols 1855 entwickelte sich die Berufsfischerei und immer mehr Isländer stachen in kleinen gedeckten „Schmackschiffen“ in See. Bald vertrieben sie keinen getrockneten Stockfisch mehr, sondern machten den Fang durch Einsalzen haltbar. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erreichte die isländische Fischerei industriellen Maßstab. Vor allem eingesalzener Kabeljau wurde ein Exportschlager, der in England und Südeuropa sehr gefragt war.

Die expandierende Fischerei belebte die Wirtschaft. 1885 wurde die erste Bank gegründet, neue Fischerorte bildeten sich, in Häfen entstanden Fabriken für Eisherstellung und Fischverarbeitung. In Siglufjördur eröffnete um 1910 die erste Fischmehlfabrik und in Reykjavίk, dessen Einwohnerzahl sich verdoppelte, ging 1915 ein neuer Handelshafen in Betrieb. Mit dem ersten Fischtrawler, der „Coot“, begann 1905 die Mechanisierung der isländischen Fangflotte. Auch die Heringsfischerei blühte auf, doch als in den dreißiger Jahren der Salzfisch-Export einbrach, geriet die Industrie in eine schwere Krise, die erst mit der explodierenden Fisch-Nachfrage während des Zweiten Weltkriegs endete.

Das zweite Standbein der isländischen Industrie beruht auf der Umwandlung von Energie aus erneuerbaren Quellen. Die meisten Isländer heizen mit Energie aus Erdwärme, Strom erzeugt man überwiegend aus Wasserkraft. Das erste, bescheidene Wasserkraftwerk nahm 1904 in Hafnarfjördur den Betrieb auf, zahllose weitere folgten. Nach der Unabhängigkeit von Dänemark 1944 erzeugte das Land bald so viel Elektrizität, das neue Fabriken wie die Gufunes Düngerfabrik und die Staatliche Zementfabrik errichtet werden konnten. Die 1965 gegründete nationale Energiegesellschaft Landsvirkjun baute die Wasserkraft weiter aus. In der Folge eröffneten multinationale und US-amerikanische Konzerne auf Island energieintensive Aluminiumhütten, die so von der preiswerten Elektrizität profitieren, dass sich es sich rentiert, den wichtigsten Rohstoff Bauxit zu importieren. Um den neuen Wirtschaftszweig weiter zu fördern, wurde zuletzt ein gigantisches Wasserkraftwerk in Kárahnjúkar errichtet, doch wegen ihrer ökologischen Folgen stößt diese Industriepolitik in der Bevölkerung mittlerweile auf massiven Protest.