ZUR INDUSTRIALISIERUNG DER LANDWIRTSCHAFT

Voraussetzung der Industriellen Revolution waren die ersten Schritte in einer langfristigen „Revolution der Landwirtschaft“: Sie setzte im 18. Jahrhundert in Großbritannien ein und hielt letztlich bis ins 20. Jahrhundert an.  Schon vor 1700 begannen britische Bauern, ihre Äcker nach dem „Norfolk-Vier-Schritt-System“ zu bebauen. Durch den jährlichen Fruchtwechsel zwischen Weizen, Rüben, Gerste und Klee regenerierten sich die Böden besser, die Ernte war ergiebiger und obendrein fiel Futter für das Vieh an: Rüben für den Winter, Klee für die Sommerweide. Die steigenden Erträge ernährten nicht nur die wachsende Bevölkerung des Landes, sondern generierten auch Überschüsse, die in die Industrialisierung flossen.

Der Weg zur Mechanisierung begann 1701 mit der Erfindung der Sähmaschine durch den Engländer Jethro Tull. Erste biologische Innovationen waren die systematische Zucht-Experimente des Briten Robert Bakewell um die Mitte des Jahrhunderts. Er kreuzte Schaf-Rassen, um den Ertrag an Fleisch und Wolle zu steigern und begann mit der Züchtung von Mastrindern - Rinder waren bis dahin vor allem für die Milcherzeugung und als Zugtiere gehalten worden.

Im 19. Jahrhundert verlagerte sich die technische Entwicklung allmählich in die Vereinigten Staaten, wo wegen der endlosen Weiten und des Mangels an Arbeitskräften ein hoher Mechanisierungsbedarf bestand und zudem ein riesiger Markt existierte. In der „Alten Welt“ dagegen prägte die menschliche Arbeitskraft die Landwirtschaft noch lange. So erfand der schottische Priester Patrick Bell zwar die erste Mähmaschine, doch in Europa wurde weiterhin mit der Sense gemäht und am Markt setzte sich die 1834 patentierte Mähmaschine des Amerikaners Cyrus McCormick durch – seine Firma war lange ein bedeutender Produzent von Ackergeräten. Den Stahlpflug entwickelte 1837 John Deere – später ebenfalls ein großer Name in der Agrartechnik – weil sich die herkömmlichen Gussstahl-Pflüge in den harten Böden des amerikanischen Westens nicht bewährten. Schritt für Schritt wurden dann die Zugtiere für die Landmaschinen ersetzt: 1858 nutzte der Brite John Fowler anstelle eines Tiergespanns erstmals eine Dampfmaschine, um einen Pflug zu ziehen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte George Stockton Berry in den USA den ersten selbstfahrenden Mähdrescher. Und 1889 stellte der amerikanische Erfinder John Charter einen Traktor mit Benzinmotor vor - der sich aber nur zögerlich durchsetzte. Vor allem in Westeuropa nutzten Landwirte bis in die 1950er Jahre überwiegend Pferde als Zugtiere.

Den Durchbruch bei den biologischen Innovationen löste die Wirkstofflehre des deutschen Chemikers Justus Liebig aus: Damit bekam die wissenschaftliche Forschung auch in der Landwirtschaft zunehmende Bedeutung, ähnlich wie in der Industrie. Liebigs 1840 veröffentlichte Erkenntnis, dass die Mineralien Stickstoff, Kalisalz und Phosphor entscheidend für das Pflanzenwachstum sind, ermöglichte es erstmals, genau angepasste künstliche Düngemittel herzustellen: Die Abhängigkeit der Ernteerträge vom Wetter, die so viele schwere Hungersnöte ausgelöst hatte, schien beendet. Nahezu zeitgleich meldete der britische Forscher John Bennet Lawes sein „Superphosphat“ als ersten Kunstdünger zum Patent an. Der entscheidende Fortschritt in der Herstellung von Stickstoffdünger war dann die 1913 von den Chemikern Fritz Haber und Carl Bosch im großtechnischen Maßstab realisierte „Ammoniaksynthese“. Sie ist bis heute das wichtigste Verfahren der Düngerproduktion und spielt eine bedeutende Rolle für die Ernährung der schnell wachsenden Weltbevölkerung.

Für bahnbrechende Veränderungen sorgte gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch die Wiederentdeckung von Gregor Mendels bereits 1866 publizierten Erkenntnissen über die Mechanismen der Vererbung.  Bis dahin hatten Bauern und Agrarunternehmen Tiere oder Pflanzen mit erwünschten Eigenschaften nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“ gekreuzt.  Es war ihnen zum Beispiel gelungen, den Zuckergehalt von Rüben so zu erhöhen, dass sie das aus den Kolonien importierte Zuckerrohr verdrängten. Doch auf wissenschaftlicher Grundlage konnte man die Züchtung systematisch betreiben: So kam 1916 das Masthähnchen in die Welt, 1918 entwickelte der Genetiker Donald F. Jones in einem amerikanischen Agrarforschungsinstitut den Hybridmais.

Die Aufzucht von Geflügel, Schweinen und Rindern wurde jetzt radikal für die ökonomische Verwertung optimiert: Das „single purpose animal“ sollte einfach viel Fleisch (oder viel Milch) liefern. Neben gezielter Züchtung bediente man sich dafür auch der künstlichen Befruchtung, die in der Sowjetunion entwickelt worden war und schnell in anderen Ländern übernommen wurde. Hochspezialisierte Züchtungen und zunehmende Massentierhaltung machten das Vieh jedoch anfällig für Krankheiten. Neben anderen Pharmazeutika setzen Agrarbetriebe dem Futter daher seit den 1940er Jahren Antibiotika zu – die zudem bei sinkender Futtermenge die Gewichtszunahme der Tiere beschleunigten. Welche gesundheitlichen Folgen für Mensch und Tier man sich damit einhandelte, nahm eine breite Öffentlichkeit erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wahr.

Hybridisierte Agrarpflanzen brachten ebenfalls deutlich höhere Erträge, waren zudem widerstandsfähiger gegen Wetterschwankungen und Schädlinge und wurden so standardisiert, dass sie problemlos maschinell geerntet werden konnten. Ab den 1950er Jahren erzeugten die USA praktisch nur noch Hybridmais. Neue Weizen- und Reis-Züchtungen wurden in großem Maßstab auch in Länder des Globalen Südens exportiert. Doch die radikale Spezialisierung hatte auch bei Pflanzen ihren Preis: Hybride Getreide-Arten brauchen für das Wachstum mehr Kunstdünger und großflächige Monokulturen werden schneller von Krankheiten und Schädlingen befallen, so dass die Landwirtschaft mehr synthetische Hilfsmittel benötigt. In den 20er Jahren war bereits das Unkrautvertilgungsmittel Auxin 2,4 D auf den Markt gekommen: Es kann als Symbol für die Zwiespältigkeit der Entwicklung gelten, denn Auxin war ein Produkt der Chemiewaffen-Forschung. Ähnliches gilt für DDT: 1939 erkannte der Schweizer Naturwissenschaftler Paul Hermann Müller, dass diese seit langem bekannte chemische Verbindung eine insektizide Wirkung hat. DDT wurde dann sowohl gegen Pflanzenschädlinge als auch gegen die Anophelesmücke, den Überträger der Malaria, eingesetzt, bis seine hochgiftige Wirkung auf den Menschen zu weitgehenden Verboten führte.

Der strukturelle Wandel der Landwirtschaft zeigte sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts darin, dass die Betriebe immer mehr Kapital für Mechanisierung, synthetische Hilfsmittel und Expansion brauchten, während die Zahl der Arbeitskräfte unaufhaltsam abnahm. Zahllose Landwirte gaben auf, weil es ihnen nicht gelang, immer größere Flächen zu bebauen und ständig ihre Erträge zu steigern. Der Konzentrationsprozess auf wenige hochautomatisierte Großunternehmen, der in den USA begann, traf nach dem Zweiten Weltkrieg auch die europäische Agrarwirtschaft massiv. Da die Betriebe zunehmend auf hochspezialisierte Chemieprodukte wie Saatgut, Dünger oder Pestizide angewiesen waren, nahm gleichzeitig ihre Abhängigkeit von einer Handvoll forschungsstarker internationaler Großkonzerne zu. Die ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen der industrialisierten Nahrungsmittel-Herstellung wurden zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht breit diskutiert.