Zeitschrift Industriekultur 1.24: Schauplätze der Industriekultur Berlin

„Elektropolis“ und „europäisches Chicago“: Das sind Beinamen einer Stadt, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur zeitweise größten Metropole des europäischen Kontinents heranwächst und für Modernität und Wirtschaftswachstum steht. Die Teilung in Ost- und Westteil nach dem Zweiten Weltkrieg und die dadurch bedingte Abwanderung ganzer Industrien begünstigt den Erhalt bedeutender Bau- und Technikdenkmale. Im Netzwerk „Schauplätze der Industriekultur Berlin“ und in der zugehörigen ERIH-Regionalroute, beide initiiert und koordiniert vom Berliner Zentrum Industriekultur (BZI), wird die dynamische Technik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Stadt wieder lebendig. Einen Überblick dazu bietet die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Industriekultur.

Von zentraler Bedeutung sind die beiden ERIH-Ankerpunkte der Regionalroute: das Deutsche Technikmuseum und das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit. Ersteres – schon von weitem erkennbar an dem "Rosinenbomber" auf dem Dach, der an die Zeit der Berliner Luftbrücke erinnert – gilt als eines der größten Museen seiner Art in Europa und verknüpft die rasante Berliner Technik- und Industriegeschichte mit ihren Auswirkungen auf das städtische Leben. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf dem Bereich Transport und Verkehr, wie mehr als 200 Pkw und Lkw, über 40 Schienenfahrzeuge und zahlreiche Flugzeuge zeigen. Demgegenüber schlägt der zweite Ankerpunkt eines der dunkelsten Kapitel deutscher (Industrie-)Geschichte auf: das nationalsozialistische System der Zwangsarbeit, basierend auf massenhafter verbrecherischer Versklavung und rassistisch motivierter Gewalt. Das Dokumentationszentrum in Berlin-Schöneweide ist die einzige Institution ihrer Art in einem fast vollständig erhaltenen Zwangsarbeiterlager inmitten eines Wohnbezirks. Die Ausstellung „Alltag Zwangsarbeit 1938 – 1945“ geht auch deshalb so unter die Haut, weil sie unmittelbar am Ort des Unrechts gezeigt wird.

In Schöneweide pulsierte einst auch das Herz der „Elektropolis“: Dort gründete Emil Rathenau 1887 die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG). Nach dem Zweiten Weltkrieg wird das Viertel zum größten innerstädtischen Industriegebiet der DDR. 2009 gründet sich hier der Verein Industriesalon Schöneweide, der die lokale Industriegeschichte erforscht, sich für ihren Erhalt einsetzt und spannende Führungen durch den Stadtteil anbietet.

Eine Reihe weiterer ERIH-Standorte beleuchten jeweils ganz bestimmte Aspekte der Berliner Industriegeschichte. So steht das Museum Kesselhaus Herzberge für die Zeit gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als der rasante Bevölkerungsanstieg sowie neue medizinische Erkenntnisse zu einem regelrechten Boom an neuen Krankenhäusern in Berlin und den Umlandgemeinden führte. Das Kesselhaus mit seinen Heizkesseln aus drei Generationen (1892 bis 1961) lieferte bis zum Anschluss ans städtische Stromnetz elektrischen Strom und später Wärme für den Krankenhausbetrieb. Das Energie-Museum in Steglitz ist ein weiteres Zeugnis der facettenreichen Geschichte der öffentlichen Elektrizitätsversorgung und beantwortet darüber hinaus ganz praktische Fragen zur Stromerzeugung und -verteilung, etwa „Wie kommt der Strom in die Steckdose?“. Die Energie speziell für die Straßenlaternen der Stadt lieferte bis in die 1930er Jahre der Gasometer Fichtestraße „Geschichtsspeicher Fichtebunker", Berlins letzter erhaltener Steingasometer für sogenanntes Leuchtgas.

Von Berlins enger Beziehung zum Bier erzählen Standorte wie der Pfefferberg, der seinem Namen dem bayerischen Braumeister Joseph Pfeffer verdankt. Auf dessen Brauereigründung Mitte des 19. Jahrhunderts folgen verschiedene weitere Industriebetriebe, bevor sich hier eine lebendige Kultur- und Bildungsszene etabliert. Auch die Kulturbrauerei geht auf historische Wurzeln zurück – in diesem Fall die Schultheiss-Brauerei – und beherbergt heute kreative Dienstleister sowie ein vielfältiges Kulturangebot.

ERIH-Artikel in Industriekultur "Zeugnisse einer beeindruckenden Blütezeit"