ZUR INDUSTRIEGESCHICHTE VON ÖSTERREICH

Einerseits war Österreich gut auf die Industrialisierung vorbereitet: Das Land verfügt über bedeutende Bodenschätze, insbesondere Eisenerze und Salz, und hat eine lange Bergbau-Tradition. Die untertätige Salzgewinnung der Kelten in den Alpen erreichte schon weit vor Christi Geburt proto-industrielles Niveau. Und im Silber- und Kupfer-Bergbau arbeiteten im Spätmittelalter Zehntausende von Bergknappen.

Andererseits erschwerte die gebirgige Landesstruktur Austausch und Verkehr. Auch Triest, der einzige größere Hafen des Habsburgerreiches, konnte sich am Nordrand des Mittelmeers nicht zu einem erstrangigen Handelsknoten entwickeln. Zudem waren die Eliten des Landes im 19. Jahrhundert noch weithin im feudalistischen Denken gefangen.

Die neue Zeit hielt daher erst ab 1830 Einzug, später und auch zögerlicher als in vielen Teilen Westeuropas. Eine entscheidende Rolle spielte der Aufbau des Eisenbahnnetzes: Mitte der fünfziger Jahre rollte die Kaiser-Ferdinands-Nordbahn von Wien über Brünn nach Prag, mit einem Abzweig nach Galizien. Die Südbahn führte über Laibach nach Triest, eine Teilstrecke bildete die Semmeringbahn, die erste Gebirgsbahn Europas. Als weitsichtig erwies sich auch, dass die polytechnischen Schulen in Wien und Prag schon 1815 zu Technischen Hochschulen ausgebaut worden waren.

Die Industrialisierung des Habsburger-Imperiums ging vor allem von den nicht-österreichischen Landesteilen aus: Ungarns Entwicklung stagnierte, da es nur Agrargüter erzeugte, doch Kohle-Abbau und Textilindustrie in Mähren sowie die innovative böhmische Schwerindustrie wurden zum Motor des wirtschaftlichen und technischen Fortschritts. Mit der Modernisierung nahm dort allerdings auch das tschechische Nationalbewusstsein zu und vertiefte die Widersprüche in dem heterogenen Staatsgebilde.

Auf dem heutigen österreichischen Staatsgebiet gewann der wirtschaftliche Umbruch erst in der so genannten "Gründerzeit" Mitte der 1860er Jahre Tempo. Bis dahin hatten das Holz der dichten Wälder und das Wasser der Gebirgsflüsse genug Energie geliefert, doch nun entstanden mehr Fabriken und die Gewerbe mussten sich auf Kohle umstellen, den klassischen Brennstoff der Industrialisierung. Zu einem industriellen Kern entwickelte sich die Obersteiermark, wo Karl Wittgenstein, "Österreichs Krupp", aus den etablierten Unternehmen in Bergbau und Eisenverarbeitung ein mächtiges Kartell formte. In Vorarlberg etablierte sich die Textilproduktion, in Wien – wo die Rothschilds 1855 die "Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe" gegründet hatten – florierte insbesondere der Bau von Eisenbahnwagen und Lokomotiven. Als Symbol für den Aufbruch kann die Wiener Weltausstellung von 1873 gelten – obwohl schon kurz nach der Eröffnung ein "Schwarzer Freitag" mit einem Börsenkrach folgte, der eine jahrelange Wirtschaftskrise auslöste.

In einer zweiten Boom-Phase gegen Ende des Jahrhunderts differenzierte sich in Wien und Umgebung der Fahrzeugbau, insbesondere mit Gründung der "Österreichischen Daimler-Motoren-Gesellschaft" 1899, die alle Zweige des neuen, motorisierten Verkehrswesens belieferte und bald weit über tausend Mitarbeiter beschäftigte. Das erste Auto der K.u.K.-Monarchie war allerdings schon 1888 in Mähren gebaut worden. Wie in Westeuropa entstand, ebenfalls mit Schwerpunkt in der Region Wien, eine florierende Elektroindustrie und die Netze zur Strom- und Gasversorgung wurden landesweit ausgebaut. Zu bedeutenden Wirtschaftszweigen entwickelten sich auch die Nahrungsmittelindustrie, vor allem die Zuckerherstellung auf Basis von Zuckerrüben, und die vom Holzreichtum des Alpenlandes begünstigte Papierproduktion.

Parallel wurden allmählich die Arbeitsbedingungen in der Industrie verbessert, die Arbeitszeit auf 11 Stunden begrenzt, Kranken- und Unfall-Versicherungen eingeführt. Der eklatanten Wohnungsnot nahmen sich Staat und Kommunen allerdings erst in den 1920er Jahren durch Bauprogramme wie die berühmten Wiener "Arbeiterhöfe" an. Der viel versprechende Wirtschaftsaufschwung der Jahrhundertwende war da schon abgerissen: Durch die Zerstörungen des Ersten Weltkriegs, auf den der Zerfall des habsburgischen Imperiums folgte.