„Spinning Mule“ oder die Erfindung der Textilindustrie
1764 konstruiert der englische Weber James Hargreaves die „Spinning Jenny“ - die erste Spinnmaschine der Welt. Dank ihrer ausgeklügelten Mechanik kann ein einziger Arbeiter zunächst acht und später Dutzende von Spindeln gleichzeitig bedienen – und macht damit genauso viele Spinner an ihren Spinnrädern arbeitslos. Das Konkurrenzprodukt „Waterframe“, ebenfalls 1764 von dem englischen Perückenmacher Richard Arkwright entwickelt, arbeitet mit Wasserantrieb und steht seit 1771 in der weltweit ersten industriellen Baumwollspinnerei in Cromford. Die Maschine jedoch, die für die folgenden 100 Jahre die größte Verbreitung findet, ist Samuel Cromptons „Spinning Mule“ von 1779. Als eine Art Kreuzung aus Spinning Jenny und Waterframe besitzt sie einen halbautomatischen Schienenwagen, dessen bis zu 500 rotierende Spindeln das Vorgarn beim Ausfahren zu Garn verdrehen und beim Einfahren auf Spulen wickeln. Die wohl einzige erhaltene Spinning Mule, die Samuel Crompton selbst konstruiert hat, bewahrt das Bolton Museum & Art Gallery auf.
Aus Angst um ihre Jobs gehen Spinner und Weber wiederholt gegen die neuen Maschinen auf die Barrikaden. Doch die Automatisierung der Textilindustrie ist nicht mehr aufzuhalten. Um den technologischen Vorsprung zu verteidigen, verbietet die englische Regierung bereits 1774 Technologieexporte bei Todesstrafe und untersagt Facharbeitern strikt, das Land zu verlassen.
Das gelingt nur teilweise. Zu denen, die das Verbot erfolgreich umgehen, gehört der belgische Industrielle Lieven Bauwens: 1797/98 schmuggelt er eine Spinning Mule auf den Kontinent und bestückt mit den Nachbauten mehrere Fabriken in Gent und Umgebung. Eine dieser Maschinen steht heute im Industriemuseum Gent und symbolisiert den Beginn der Industriellen Revolution in Flandern.