ZU DEN DUNKLEN SEITEN DER INDUSTRIELLEN REVOLUTION: NS- UND ANDERE ZWANGSARBEIT

Zwangsarbeit ist von anderen Formen wirtschaftlicher Ausbeutung schwer abzugrenzen. In vorindustrieller Zeit kann man darunter die Frondienste (engl./franz. „Corvée“) verstehen, die europäische Bauern in Mittelalter und Früher Neuzeit ihren Grundherren leisten mussten. Auch das lange verbreitete Recht eines Staates, seine Bürger unbezahlt für öffentliche Arbeiten heranzuziehen, zählt dazu. Kolonialmächte erlegten indigenen Bevölkerungen häufig eine Pflicht zur Zwangsarbeit auf: Neben Spaniern, Niederländern und Franzosen vor allem die Briten, die nach der Abschaffung der Sklaverei im 19. Jahrhundert zahllose Arbeiter aus Indien und China unter Vertragsknechtschaft („Indentured Labour“) nahmen und in Kolonien auf anderen Kontinenten verschleppten.

Im engeren Sinn ist „Zwangsarbeit“ definiert als Freiheitsentzug, der zur wirtschaftlichen Ausbeutung eines Häftlings dient, häufig mit politischer Umerziehung verbunden ist und oft auf sozialer, ethnischer oder religiöser Diskriminierung beruht.

In bedeutendem Umfang kam es erstmals während des Ersten Weltkriegs zu Zwangsarbeit, als das Deutsche Reich knapp drei Millionen Kriegsgefangene und Zivilisten aus dem Ausland in Industrie und Landwirtschaft beschäftigte, um die zum Militär einberufenen Deutschen zu ersetzen, insbesondere im kriegswichtigen Kohlebergbau.

Kriegsgefangene durften nach internationalem Recht unter bestimmten Bedingungen zwar als Arbeitskräfte eingesetzt werden, da sie im Deutschen Reich aber nicht über Art und Dauer ihrer Arbeit entscheiden konnten, gilt ihre Beschäftigung als Zwangsarbeit.

Zivilisten versuchten deutsche Stellen anfangs im besetzten Belgien anzuwerben, jedoch mit wenig Erfolg. Nicht zuletzt auf Initiative von Unternehmern kam es Ende 1916 zur rechtswidrigen Deportation von 60.000 belgischen Männern. Die meisten verweigerten die Arbeit in Deutschland allerdings, so dass man die Deportationen Anfang 1917 größtenteils abbrach. Erfolgreicher war die Anwerbung von Zivilisten im besetzten Russisch–Polen. Waren sie einmal in Deutschland, durften sie aber nicht mehr heimkehren: Sie wurden zu Zwangsarbeitern.

In ganz anderem Umfang bediente sich die nationalsozialistische deutsche Regierung während des Zweiten Weltkriegs der Zwangsarbeit: Mehr als 13 Millionen Zivilisten, Kriegsgefangene aus West und Ost sowie KZ-Häftlinge wurden zur Arbeit in der deutschen Industrie und Landwirtschaft gezwungen. Im August 1944 machte allein der Anteil der Zivilisten 6 Millionen aus, gut ein Drittel waren Frauen. Die Arbeitskräfte wurden - nach unergiebigen Anwerbungsversuchen - in allen besetzten Ländern zwangsverpflichtet: Zuerst in Tschechien und Polen, dann in Westeuropa, schließlich stellten Russen und Polen die große Mehrheit.

Auf Bauernhöfen und in Privathaushalten konnten ihre Lebensbedingungen erträglich sein – dem Rassismus der deutschen Bevölkerung waren sie jedoch jeden Tag ausgeliefert. Industrieunternehmen beantragten gern die Zuweisung von Zwangsarbeitern, weil ihre Löhne niedrig bis minimal waren: man konnte nicht nur einberufenes Personal ersatzen, sondern auch expandieren, oft sogar eine Basis für die Zeit nach dem Krieg schaffen.

Entlohnung und Behandlung von Zwangsarbeitern hingen prinzipiell davon ab, wen die nationalsozialistische Rassenideologie als „minderwertig“ definierte: Zivilisten aus Westeuropa wurden einigermaßen erträglich bezahlt, so genannte „Ostarbeiter“, vor allem Russen, Belarussen und Ukrainer, erhielten einen kläglichen Hungerlohn. Untergebracht waren sie anfangs in Tanzsälen oder Turnhallen, zunehmend aber in schnell zusammengezimmerten Barackenlagern. Die Ernährung war miserabel. Westeuropäische Zivilisten durften Geld für Essen dazuverdienen, sowjetische Kriegsgefangene dagegen setzte man systematisch dem Hunger aus und zugleich härtester Arbeit aus. Historiker schätzen, dass rund 1,3 Millionen von ihnen an Unterernährung und Erschöpfung starben.

Ab Sommer 1942 wurden für die alles beherrschende Rüstungsproduktion vermehrt Häftlinge aus KZs eingesetzt, vor allem Juden und Roma und Sinti. Ohne Bezahlung, bei erbärmlicher Versorgung, Willkür und Gewalt wurden sie der von Goebbels propagierten „Vernichtung durch Arbeit“ ausgesetzt. Mehr als eine Million Menschen ging erbärmlich zugrunde. Die Liste beteiligter Firmen liest sich wie ein Who-is-Who der deutschen Industrie: I.G.Farben, Daimler-Benz, Flick, Züblin, Siemens, BMW, Krupp, Philipp-Holtzmann… Nach dem Krieg wollte kaum ein Unternehmen etwas von der menschenverachtenden Ausbeutung wissen. Erst seit den 1980er Jahren stellen sich Firmen nach und nach unabhängigen Untersuchungen.

In der Sowjetunion wurde 1919 ein erstes Lager für Zwangsarbeiter gegründet, ab 1930 entstand in der nördlichen UdSSR und Sibirien ein Netz von mehr als 200 Arbeitslagern. Der Name „Gulag“, unter dem es bekannt wurde, steht für „Hauptverwaltung der Besserungsarbeitslager“. Inhaftiert wurden sowohl Kriminelle als auch Dissidenten – die Anzahl hing von der  politischen Konstellation in der SU ab: Als 1929 die Kollektivierung der Landwirtschaft begann, sperrte man zahllose reiche oder oppositionelle Bauern ein. Auf dem Höhepunkt des Terrors durch den Diktator Stalin, den „Säuberungen“ 1936-38, folgten Millionen tatsächlicher und vermeintlicher politischer Gegner. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs waren es Zehntausende ausländische Kriegsgefangene, aus der Haft in Deutschland befreite Sowjetsoldaten, denen man Verrat unterstellte, und der Illoyalität beschuldigte ethnische Gruppen aus der UdSSR selbst.

Die Häftlinge wurden hauptsächlich in Kohle- und Erz-Bergwerken, in der Holz- und Fischindustrie und auf Großbaustellen eingesetzt, beispielsweise 1931-33 bei der Anlage des Weißmeer-Ostsee-Kanals. Verpflegung – meist Brot oder Suppe – und Kleidung waren für die schwere Arbeit in eisigem Klima völlig unzureichend, so dass jedes Jahr Zehntausende durch Unterernährung und Erschöpfung zu Tode kamen. Dennoch galt das „Gulag“-System als wichtiger Wirtschaftsfaktor. Nach Stalins Tod 1953 löste man den „Gulag“ offiziell auf, unterhielt jedoch einige Lager weiter. Historiker schätzen, dass mehr als 20 Millionen Menschen im „Gulag“ inhaftiert waren. Die Zahl der Toten ist bis heute nicht bekannt.

In der Deutschen Demokratischen Republik war juristisch ausdrücklich vorgesehen, dass staatliche Firmen Häftlinge aus Gefängnissen und Jugendwerkhöfen als Arbeitskräfte beschäftigen durften: Die Zwangsarbeit sollte der Erziehung zur „sozialistischen Persönlichkeit“ dienen. Im Hintergrund stand jedoch der notorische Personalmangel für schlecht bezahlte oder gefährliche Arbeitsplätze, vor allem in der Chemieindustrie.

Ab den fünfziger Jahren bedienten sich praktisch alle Branchen der Haftzwangsarbeit. Berüchtigt waren die Braunkohletagebaue, in denen bei jedem Wetter härtester körperlicher Einsatz verlangt wurde. Gefährlicher war jedoch die Arbeit im Chemiekombinat Bitterfeld, wo aus verschlissenen Anlagen Chlor- und Quecksilberdämpfe austreten konnten, die zu schweren Gesundheitsschäden und sogar Todesfällen führten.

Weibliche Häftlinge setzte vor allem die Textilindustrie ein, etwa für die Herstellung von Strumpfhosen und Bettwäsche. Auch dort herrschte hoher Leistungssdruck bei ungeregelten Arbeitszeiten und harten Strafen bei Fehlverhalten. Die Betriebe zahlten zwar nach Tarif, doch der größte Teil des Lohns blieb bei den Strafanstalten, in denen die Frauen einsaßen. 

Produkte aus Zwangsarbeit wurden häufig gegen Devisen in die Bundesrepublik exportiert: Textilien, Kameras, Möbel und anderes landete auf westlichen Wühltischen und in Versandkatalogen. Rund 6000 Unternehmen verdienten daran, darunter Aldi, C&A, Ikea, Quelle, Siemens und Woolworth - wollten aber lange nichts von der fragwürdigen Herstellung wissen. Etwa 15.000 bis 30.000 Menschen leisteten in Haftanstalten der DDR Zwangsarbeit – zur Wirtschaftsleistung trug das System wohl nicht mehr als 1% bei.