ZU DEN DUNKLEN SEITE DER INDUSTRIELLEN REVOLUTION: DIE ZERSTÖRUNG DER UMWELT

Mit der industriellen Revolution haben Menschen einen anhaltenden, scheinbar unaufhaltsamen Prozess ökologischer Zerstörungen und schwerwiegender Gesundheitsrisiken ausgelöst. Selbst wenn man von der großflächigen Umformung von Naturlandschaften und dem Raubbau an Ressourcen absieht, haben industrielle Prozesse so viele und vielfältige Schäden an Natur und menschlicher Gesundheit ausgelöst, dass sich allein die Erfassung der Schadstoffe und ihrer komplexen Wirkungen bis heute hinzieht – und mehr noch ihre durch wirtschaftliche Interessen massiv behinderte Bekämpfung.

Aus der Antike sind bereits Umweltschäden durch die proto-industriellen Großbetriebe der Römer bezeugt: Erzschmelzen, Glashütten, Töpfereien und Großbäckereien verschlangen nicht nur Unmengen Feuerholz, sondern erzeugten über der Millionenstadt Rom bereits Smog. Ein anschauliches Beispiel für die antike Zerstörung der Landschaft sind noch heute die Hügel von Las Médulas in Nordspanien, wo der mit Wasserkraft optimierte römische Goldabbau eine grotesk verformte Kunst-Landschaft hinterließ.

Im Mittelalter bemühten sich lokale Obrigkeiten punktuell, die Luftverschmutzung einzudämmen: ausgelöst durch das Flachsrösten. Seit dem 15. Jahrhundert wurde der „Hüttenrauch“ zum festen Begriff: Anfangs bezeichnete er die stinkenden, giftigen Gase aus der Gewinnung von Arsenik und Schwefel durch das Erzrösten, bald aber auch die Rauchgase anderer Hütten. Im 17. Jahrhundert stellten Beobachter in London – darunter William Shakespeare – einen Zusammenhang zwischen dem Schwefelgeruch in der Stadt und der Verbrennung von Steinkohle in Brauereien und Kalköfen her: Schweflige Gase in der Atemluft wurden dann für Jahrhunderte eines der größten Gesundheitsrisiken in Industrieregionen.

Mit dem Anfang der Industrialisierung um 1750 sammelten sich über den schnell wachsenden britischen Städten immer dichtere schadstoffhaltige Wolken. Der Rauch aus den Fabrikschornsteinen und aus den Öfen in den überbevölkerten Arbeiterquartieren belastete die Atemluft mit einem Cocktail von Stäuben und Gasen, insbesondere Ammoniak, Schwefel-, Kohlenstoff- und Stickstoffverbindungen, freigesetzt bei der massenhaften Verbrennung von Steinkohle. Wann der Rauch abzog, bestimmte das Wetter: Der berüchtigte Nebel in der hochindustrialisierten Metropole London etwa verstärkte die Luftverschmutzung drastisch – daher die Kombination der Worte „Smoke“ und „Fog“ zu „Smog“.

Als mehr und mehr Kohlezechen und Hüttenwerke aus dem Boden schossen, wurde der schwarze Qualm auf der britischen Insel zu einem flächendeckenden Phänomen: Rauchwolken bedeckten schließlich das Land von Schottland im Norden über Yorkshire bis hinunter nach Mittelengland. Dennoch wurde die Luftverschmutzung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts fast widerstandslos hingenommen, als scheinbar unvermeidlicher Nebeneffekt des industriellen Booms.

Etwa seit Mitte des 18. Jahrhunderts trug auch die Chemieindustrie ihren Teil zur zunehmenden Umweltzerstörung bei. Schon die massenhafte Herstellung der drei klassischen Grundstoffe Schwefelsäure, Soda und Chlor setzte weitere Umweltgifte frei, die sich in Flüssen sammelten und auf Pflanzen niederschlugen. Waren die Zeitgenossen für die Luftverschmutzung lange blind geblieben, führten Gestank und Verfärbung der Flüsse sowie die Schäden in Forst- und Landwirtschaft gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu immer mehr Protesten. Auch die Gesundheitsbelastung der Arbeiter, die Chlor-, Schwefel- und Salzsäuregasen praktisch ungeschützt ausgesetzt waren, löste zunehmende Klagen aus.

Doch je differenzierter die Chemikalien, desto vielfältiger wurden die Schäden an Gesundheit und Umwelt: Die Zellstoffproduktion der Papierfabriken beispielsweise belastete Abluft und Abwasser mit schwefelhaltigen Verbindungen. Nebenprodukt der neuen Gasbeleuchtung in Fabriken und Straßen waren Teer- und Ammoniak-Rückstände, die in Gewässer eingeleitet oder auf Halden abgelagert wurden, aus denen wasserlösliche Elemente ins Grundwasser einsickerten.

Gesetzliche Eingriffe und technische Gegenmaßnahmen blieben Stückwerk: Die ersten Abwasserkanäle in London mündeten gleich hinter der Stadt in die Themse, so dass die Flut den Unrat in die Metropole zurückdrückte – im „Great Stink“ von 1858 mussten selbst die ehrenwerten Abgeordneten im Parlament ihre Arbeit einstellen. Höhere Schornsteine für Fabriken und Kraftwerke, nun vielfach vorgeschrieben, verbesserten zwar die Luft in der unmittelbaren Umgebung – doch dass Winde die Schadstoffe einfach weiter weg transportierten, wurde weitgehend ignoriert.

In der ersten Hälfe des 20. Jahrhunderts behinderten die Kriege und Wirtschaftskrisen die Erforschung und erst recht die Bekämpfung der Umweltzerstörung. In den Flüssen europäischer Bergbau- und Industrieregionen, ob dem Tawe River in Wales, dem Rio Tinto in Spanien oder der Emscher im Ruhrgebiet, waren Verschmutzung und Fischsterben unübersehbar, doch Industrieabwässer wurden weiterhin ungeklärt eingeleitet. Die Emscher und ihre Zuflüsse wurden ab 1906 ganz offiziell zum offenen Abwasserkanal umgebaut, in den bis in die 1920er Jahre phenolhaltige Abwässer der Kokereien flossen. Auch in der Ruhr, die zur Trinkwassser-Gewinnung diente, tauchte die hochgiftige Chemikalie auf.

Erst ab den 1950er Jahren klärten Forscher in Westeuropa nach und nach viele industriell verursachte Schadensmechanismen auf. Oft brauchte es Katastrophen, die die Politik nicht mehr ignorieren konnte, bis sich etwas änderte: 1952 legte sich für 5 Tage der „Great London Smog“ auf die englische Metropole, die Sichtweite sank auf wenige Zentimeter – und aus Schwefelverbindungen und Wassertröpfchen in der Luft bildete sich Schwefelsäure, die die Einwohner einatmeten. Innerhalb von 2 Wochen starben rund 12.000 Menschen. Bei einem ähnlichen Smog-Ereignis 1962 im Ruhrgebiet stieg die Sterblichkeitsrate um 20% gegenüber dem Vorjahr an.

Effizientere Luftreinhaltetechniken vor allem für Kraftwerke in Großstädten verminderten dann allmählich die Gesundheitsrisiken, doch in der Regel wurde nur eine Verringerung der Feinstaub-Emissionen vorgeschrieben, aber keine Filter für Schwefeldioxid. Insgesamt nahmen die Schwefeldioxid-Emissionen in vielen Ländern weiter zu, da sich die Abgase aus den hohen Schornsteinen in ländliche Regionen verbreiteten. Insbesondere in England, Deutschland, den Niederlanden und Ostmitteleuropa zeigten Wald- und Ackerflächen schwere Schäden, einige Pflanzenarten waren vom Verschwinden bedroht. Erst zu Beginn der 70er Jahre bekam das Problem die Aufmerksamkeit der europäischen Politik, als skandinavische Forscher nachwiesen, dass der „Saure Regen“ Schwefel aus den Nachbarländern nach Skandinavien trug und dort in versauerten Gewässern ein Fischsterben auslöste. 1983 trat schließlich die erste internationale Vereinbarung in Kraft, die in Westeuropa allmählich eine Reduzierung der Schwefeldioxid-Emissionen bewirkte.

In den Siebzigern wurde ein bisher unbekannter Risikofaktor für Gesundheit, Feldfrüchte und die natürliche Vegetation identifiziert: bodennahes Ozon. Es bildet sich u.a. aus Kohlenmonoxid, Stickoxiden und flüchtigen organischen Verbindungen in der Luft und ist eine Ursache des Waldsterbens, das in den achtziger Jahren vor allem im Bergland Polens, der Tschechoslowakei und der beiden deutschen Staaten unübersehbar wurde. Auch Schwefel, Nitrate und Schwermetalle in den Niederschlägen zählen zu den Verursachern, doch im Detail sind die Schadensmechanismen bis heute nicht geklärt.

Die menschliche Gesundheit trat wieder stärker in den Focus der Umweltforschung, nachdem Forscher in den USA in den neunziger Jahren erkannt hatten, dass Feinstaub in der Umgebungsluft wohl das höchste Gesundheitsrisiko für Menschen in den Großstädten ist. Feinstäube oder Partikel setzen sich aus verschiedenen chemischen Elementen zusammen, können sowohl fest als auch flüssig sein – und tauchen unter anderem Namen schon in den Klagen über die Luft im antiken Rom auf.

Da seit Beginn des 21. Jahrhunderts die Erderwärmung unübersehbar ist, ebenfalls einer der durch die Industrialisierung verursachten, lange ignorierten Umweltschäden, steht nun der Klimawandel im Mittelpunkt der Debatten, vor allem das in Verbrennungsprozessen erzeugte Treibhausgas Kohlendioxid.