ZU DEN DUNKLEN SEITEN DER INDUSTRIELLEN REVOLUTION: DAS INDUSTRIALISIERTE TÖTEN IM NATIONALSOZIALISMUS
Der systematische Massenmord an Juden und Roma und Sinti während der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland wird oft mit Begriffen wie „Tötungsmaschinerie“ oder „Fabriken des Todes“ charakterisiert – und tatsächlich konnte die planvolle Tötung von rund 6 Millionen Juden nur mit industriellen Verfahren realisiert werden.
Die Entscheidung der NS-Führung, dass die so genannte „Endlösung“ der seit Jahrzehnten diskutierten „Judenfrage“ nicht eine massenhafte Umsiedlung, sondern die Vernichtung des Judentums sein solle, fiel im Lauf des Jahres 1941. Auf der „Wannsee-Konferenz“ am 20. Januar 1942 wurden dann unter Leitung von Reinhard Heydrich, dem Chef der Polizei- und Geheimdienstzentrale, organisatorische Einzelheiten beschlossen.
Der systematische Massenmord in Osteuropa hatte schon im Juni 1941 begonnen, nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion. In knapp einem Jahr erschossen aus Polizei und SS gebildete „Einsatzgruppen“ mehr als eine halbe Million Menschen. Mehrfach kam es zu Massakern wie in der Schlucht von Babi Yar bei Kyjiw, wo innerhalb von zwei Tagen rund 34.000 Jüdinnen und Juden ermordet wurden. Da in der deutschen Regierung jedoch seit längerem kalkuliert wurde, dass etwa 5,8 Millionen Juden getötet werden sollten, gab Heinrich Himmler, Reichsführer der SS und oberster Chef der Polizei, seinen Untergebenen den Auftrag, ein effektiveres Verfahren als die Erschießungen zu entwickeln.
Rudolf Höß, Kommandant des KZ Auschwitz, erinnerte sich später, dass ihm Adolf Eichmann, der „Manager des Völkermords“, im Sommer 1941 berichtete, er wolle sich auf die Suche nach einem leicht zu beschaffenden und ohne baulichen Aufwand einsetzbaren Gas machen. Im September wurde dann die mörderische Wirkung des auf Blausäure basierenden Schädlingsbekämpfungsmittels „Zyklon B“ getestet. Mit der Entscheidung für „Zyklon B“ war die zentrale technische Voraussetzung für den industrialisierten Mord geschaffen. Im Januar 1942 ließ die SS in Auschwitz-Birkenau eine Gaskammer bauen, im Juni eine zweite, danach wurde die Kapazität schrittweise weiter gesteigert.
Die Opfer durchliefen einen konsequent rationalisierten Prozess. Sonderzüge aus den Ländern Europas, die Deutschland kontrollierte, lieferten jeweils rund 1000 Jüdinnen und Juden an. Noch auf dem Bahnhof wurden bis zu 90% als „nicht arbeitsfähig“ in die Gaskammern geschickt. Ihre bürgerlichen Rechte hatten sie schon verloren, nun folgte unmittelbar die Abgabe von Wertsachen, dann Ausweisen, Kleidung und schließlich das Scheren der Haare: Sie wurden Schritt für Schritt zu Objekten degradiert, Produkten quasi auf einem Fließband, das an den Verbrennungsöfen endete. Zwischen Januar 1942 und November 1944, als die Anlage im Hochbetrieb lief, fanden in Birkenau rund 1,1 Millionen Menschen den Tod.
Beim Bau weiterer Vernichtungslager war der für Industrieanlagen unerlässliche Eisenbahnanschluss ein entscheidendes Kriterium. Die Technik wurde - wie in jeder guten Fabrik – schrittweise optimiert.
Die Tötungsmethode entwickelte der frühere Polizeikommissar Christian Wirth im KZ Belzec weiter: Um von den Gaslieferungen der Industrie unabhängig zu werden, ließ er Auspuffgase von Motoren in die Gaskammern blasen. Sein Verfahren setzte sich durch: In Treblinka, der nach Auschwitz größten Todesfabrik, leitete man die Abgase russischer Panzermotoren in die Gaskammern. Die Kapazität der Mordmaschinerie lag dort bei bis zu 500 Toten pro Stunde, wie ein Überlebender berichtete, durch einen Umbau wurde sie auf bis zu 15.000 Menschen pro Tag gesteigert.
Zur Entsorgung der Leichen benutzte die SS Verbrennungsöfen, wie man sie in Deutschland von Feuerbestattungen kannte. Mit dem Bau wurde in Auschwitz der deutsche Branchenführer für Krematorien, das Unternehmen „Topf und Söhne“ aus Erfurt, beauftragt. Die Ingenieure entwarfen vier Öfen, beteiligten sich aber auch an der Optimierung der Gaskammern durch eine bessere Zwischenbelüftung. Um die Leistung der Öfen angesichts des hohen Aufkommens an Opfern zu steigern, entwarf der Ingenieur Fritz Sander ein Modell, das bei gleichmäßiger Beschickung mit Leichen kontinuierlich arbeitete: ein Verbrennungsfließband. „Topf und Söhne“ beantragte 1942 ein Patent, das nicht mehr erteilt wurde.
Die Vernichtungslager des Nationalsozialismus pervertierten die Idee der industriellen Massenproduktion zu ihrem absoluten Gegenteil. Sie erzeugten keine Produkte, bestimmt zur Nutzung durch Menschen, sondern vernichteten die Menschen und erzeugten statt eines Produkts: Asche.
Weiterführende Links:
bpb: Das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager
WIKIPEDIA: Gaskammer (Massenmord)
Erinnerungsort Topf & Söhne - Die Ofenbauer von Auschwitz
The Holocast explained: Extermination camps
Unesco Welterbe: Auschwitz Birkenau. German Nazi Concentration and Extermination Camp (1940-1945)
Video:Terra X History. 5 Fakten, die ihr über Auschwitz wissen solltet