ZUR INDUSTRIEGESCHICHTE VON ITALIEN

Der Mangel an Rohstoffen und die lange Zersplitterung des Landes waren Italiens größte Hindernisse auf dem Weg zur Industrialisierung. Der Gegensatz zwischen Süd und Nord dagegen spitzte sich erst durch falsche politische und wirtschaftliche Weichenstellungen im 19. Jahrhundert zu: Neapel etwa zählte mit seinen Manufakturen im 18. Jahrhundert noch zu Europas führenden Städten.

An wirtschaftlichen Innovationen hat es in Italiens Geschichte nicht gefehlt: Die italienische Papierherstellung war im Mittelalter führend in Europa. Im Textilgewerbe bildeten sich schon früh quasi-industrielle Produktionsformen und die Seemacht Venedig, die in ihren Arsenalen zeitweise über zehntausend Menschen beschäftigte, begann im 15. Jahrhundert mit der Standardisierung von Bauteilen für den Schiffbau, der entscheidenden Voraussetzung für eine Massenproduktion. Die größten Auswirkungen aber hatte die Modernisierung des Bankwesens, die auf die blühenden Stadtstaaten der Renaissance zurückgeht.

Im Zeitalter der Industrialisierung war die Dynamik jedoch weitgehend erloschen. Um 1840 entwickelte sich eine Baumwollindustrie größeren Maßstabs, vor allem in und um Mailand sowie im Piemont. Auch die Seidenverarbeitung, seit Jahrhunderten eine italienische Tradition, konzentrierte sich auf Regionen des Nordens. Die Produktivität der Spinnereien konnte jedoch bei weitem nicht mit den britischen mithalten. Die spätere industrielle Kernzone zeichnete sich ab, als im Städtedreieck Mailand, Turin, Genua auch die ersten, bescheidenen Anfänge einer Maschinenbauindustrie entstanden. Die gewichtige Ausnahme im Nord-Süd-Gefälle bildete um 1850 jedoch nach wie vor Neapel. Dort waren Werften und Eisenwerke, Maschinenfabriken und Fahrzeugbauer anässig. Von Neapel in die nahegelegene Industrieregion Portici wurde denn auch 1839 Italiens erste Eisenbahnstrecke gebaut.

Nach der nationalen Einigung 1861 hielt der bescheidene industrielle Aufschwung an, doch die neue Einheitswährung, die Lira, machte dem wirtschaftlich schwächeren Süden schwer zu schaffen. Dort gingen die Ausfuhren zurück, Manufakturen mussten schließen. Als zu Beginn der 1880er Jahre eine schweren Agrarkrise hinzukam, verschärfte sich die Lage dramatisch. Während die Landwirtschaft in der Lombardei, im Piemont und teils auch in der Emilia Romagna modernisiert worden war, hielten die Latifundienbesitzer des Mezzogiorno an der Produktionsweise der Vergangenheit fest. So waren die agrarischen Regionen des Südens der Konkurrenz des billigen Importgetreides aus den USA nicht gewachsen, die Getreideproduktion brach zusammen, mehr und mehr Menschen sahen sich zur Auswanderung gezwungen.

Zudem hing die industrielle Entwicklung weitgehend vom Staat ab, da die private Investitionsneigung gering und Kapital knapp war. Die Regierungen wiederum erkauften sich die Zustimmung der Eliten zu Modernisierungsprogrammen, indem sie die anachronistischen Besitzverhältnisse im Süden nicht antasteten. Aus nationalistischen Motiven pumpten sie ihre Mittel vor allem in den Aufbau der Schwerindustrie. So bildete sich eine fatale, überaus dauerhafte Allianz aus Politik und Großindustrie. Stefano Breda etwa baute im umbrischen Terni die Stahlwerke auf, bei denen der Staat seine Kriegsschiffe bestellte, und verschaffte sich auch die Kontrolle über die Großwerften in Genua und Livorno. Jetzt wurden auch die Pirelli-Gummiwerke in Mailand gegründet und in Turin die erste Fabrik des Lebensmittelherstellers Círio, der mit der Produktion von Konserven begonnen hatte.

Die Industrielle Revolution erlebte die Nordhälfte Italiens dann zwischen 1897 und 1913. 1899 gründete Giovanni Agnelli in Turin die Fiat-Fabriken. In Piombino und auf Elba entstanden Stahlwerke, in Genua hoben die Stahlbarone den mächtigen Ilva-Konzern aus der Taufe, der 1908 dann auch bei Neapel eine Hütte eröffnete. Der Norden profitierte nun auch vom Potential der alpinen Gewässer: Die Edison-Gesellschaft erstellte am Fluss Adda bei Paderno das größte Wasserkraftwerk des Kontinents. Maschinenbaufirmen und Zementwerke entwickelten sich, auch Elektro- und chemische Industrie profitierten von der neuen Energiequelle. 1916 begann zudem die Stromerzeugung mithilfe von Erdwärme. Das Städtedreieck Mailand, Turin, Genua boomte - doch industrialisiert war zu Beginn des Ersten Weltkriegs bestenfalls die Hälfte Italiens.