Sidney Gilchrist Thomas (1850–85)

Sidney Gilchrist Thomas war eigentlich ein Amateurwissenschaftler, der jung verstarb, aber er machte eine Entdeckung, die die Entwicklung der Stahlproduktion in vielen Ländern nachhaltig beeinflusste.

Geboren wurde er in London. Er besuchte das Dulwich College und wollte eigentlich Arzt werden. Als jedoch sein walisischer Vater, ein Beamter, 1867 starb, musste er seine Berufspläne begraben. Bis 1879 arbeitete er als Angestellter an einem Polizeigericht. In seiner Freizeit studierte er Chemie am Birkbeck Institute (heute Birkbeck College), einer Zweigstelle der Londoner Universität. Dort setzte er sich die Aufgabe zu erforschen, ob es möglich war, mittels einer Bessemerbirne Stahl aus phosphorhaltigem Roheisen zu erzeugen.

1875 kam er zu dem Schluss, dass sich dies bewerkstelligen ließe, indem man die Bessemerbirne mit Kalk bzw. magnesiumhaltigem Kalkstein beschichtete. Dadurch, so vermutete er, würde der Phosphor zur Oxidation gebracht, und es würde sich eine basische Schlacke bilden, die als Düngemittel Verwendung finden könnte. Um seine Theorie zu beweisen, tat er sich mit seinem Cousin Percy Carlyle Gilchrist (1851-1935) zusammen, der an der Königlichen Bergbauschule (Royal School of Mines) studiert hatte und als Chemiker im Hüttenwerk von Bleanavon in Südwales arbeitete.

Edward Martin, der Geschäftsführer der Hütte, stellte ihnen die notwendige Ausrüstung für ihre Experimente zur Verfügung, ließ sie die Kosten aber selber tragen. Nachdem sie die Stichhaltigkeit der Theorie von Thomas nachgewiesen hatten, wurde ihre Entdeckung im März 1878 bei einem Treffen des Iron and Steel Institute vorgestellt, wo sie allerdings wenig Aufmerksamkeit erntete. Daraufhin verfassten Thomas und Gilchrist für das Herbsttreffen einen Aufsatz mit dem Titel “Die Abspaltung von Phosphor in der Bessemerbirne“, der jedoch erst im Mai 1879 zur Kenntnis genommen wurde. Gleich im Anschluss traf sich Thomas mit E. W. Richards von Bolckow Vaughan, dem großen, in Cleveland im nördlichen Yorkshire ansässigen Eisen- und Stahlkonzern, der das Verfahren übernahm und feststellte, dass es sich auch für die Massenproduktion eignete.

Bereits 1882 war es – nach der Sicherung entsprechender Patente in den wichtigsten Industrieländern – international verbreitet und kam in Stahlwerken in Belgien, Frankreich, Deutschland, in den Ländern des Habsburger Reichs und in Russland zur Anwendung. Andrew Carnegie zahlte eine viertel Million Dollar für das Recht, es auch in den USA anwenden zu dürfen, und sagte über seine Erfinder: „Diese beiden jungen Männer, Thomas und Gilchrist aus Blaenavon, haben mehr für Großbritanniens Größe getan als alle Könige und Königinnen zusammen. Moses schlug auf den Fels und ließ Wasser sprudeln. Diese beiden schlugen auf das unbrauchbare phosphorhaltige Eisenerz und verwandelten es in Stahl“.

Thomas litt unter einer schwachen Gesundheit, die auch eine lange Seereise samt Aufenthalt in Ägypten nicht zu heilen vermochte. Er starb im Alter von 35 Jahren in Paris. Percy Gilchrist war ebenfalls anfällig für Krankheiten, doch er ging früh in Ruhestand und wurde 84 Jahre alt.