Henry Roberts (1803–76)

Henry Roberts war ein englischer Architekt, der den sozialen Wohnungsbau in ganz Europa beeinflusst hat. Seine Ideen und Einfälle verraten den Einfluss von Reisen, die ihn bereits in jungen Jahren nach Italien und in andere Länder Kontinentaleuropas führten.

Als Sohn des englischen Kaufmanns Josiah Roberts (1773-1846) kam er in Philadelphia in den USA zur Welt, doch zog die Familie nach England, als er noch ein Kind war. 1815 ging er bei dem Architekten Charles Fowler (1792-1867) in die Ausbildung. Zehn Jahre später nahm er seine Tätigkeit im Büro von Sir Robert Smirke auf. Auf dessen Empfehlung hin besuchte er die Royal Academy School (Schule der Königlichen Akademie der Künste) und erhielt so die Möglichkeit, in Italien zu studieren. Nachhaltig beeindruckt hat ihn dort v. a. die Albergo dei Poveri, ein philantropisches, von Karl III. 1751 begonnenes Wohnprojekt in Neapel.

Nach seiner Rückkehr nach England entwarf er in verschiedenen Teilen des Landes Kirchen, Schulen und Gästehäuser auf weitläufigen Grundstücken. Seine beiden Hauptwerke jedoch, die überdies bis heute stehen, sind die klassizistische Fishmongers’ Hall (Fischhalle) im Zentrum von London und das Bahnhofsgebäude von London Bridge aus den Jahren 1841-44. Bekanntheit erlangte er v. a. für seine Arbeiterwohnungen. 1835 baute er das Seemannsheim in der Well Street, Whitechapel (abgerissen), das in der Folgezeit zahlreichen bewohnerfreundlich eingerichteten Mietshäusern als Vorbild diente.

1844 wurde er Gründungsmitglied der Gesellschaft zur Verbesserung der Lebensumstände der Arbeiterklasse (Society for Improving the Condition of the Labouring classes). Unter deren Dach entwickelte er eine Gruppe von Modellwohnungen in Pentonville sowie ein ebenfalls modellhaftes Mietshaus, dass er in der Charles Street, Ecke Drury Lane, aus drei bereits existierenden Wohnhäusern formte. Beide Bauensembles existieren nicht mehr. Dafür hat sich das nächste große Bauprojekt, das Roberts für die Gesellschaft verwirklichte, erhalten: 1850 stellte er das Mietsgebäude in der Streatham Street nahe dem Britischen Museum fertig. Er errichtete noch eine Reihe weiterer Mietsblöcke im Londoner Stadtzentrum, darunter die einflussreichen, aber abgerissenen Thanksgiving Buildings (Erntedank-Gebäude) von 1849-51 in der Portpool Lane, Ecke Gray’s Inn Road, sowie die noch erhaltenen St. George’s Buildings in der Bourdon Street, Mayfair, 1852-53 realisiert im Auftrag des philantropischen Bauherrn John Newson.

Roberts entwarf die Modellhäuser für Arbeiter, die auf der Weltausstellung von 1851 zu sehen waren. Damals wurde ihm attestiert, dass diese Häuser neue Maßstäbe für den sozialen Wohnungsbau setzten. Ihr Design folgte dem Baukastenprinzip, das es erlaubte, die einzelnen Bestandteile sowohl horizontal zu Reihenhäusern als auch vertikal zu mehrstöckigen Wohnblocks zu erweitern. Nach der Weltausstellung wurden die Modellhäuser in der Kennington Park Road wieder aufgebaut. Ähnliche Häuser entstanden in mehreren englischen Städten, von denen jene in Abbots’ Langley, Hertford, Tunbridge Wells und Windsor bis heute stehen. Roberts besonderes Interesse galt Wohnheimen bzw. Unterkünften zur Zimmermiete, da er die zu seiner Zeit üblichen Exemplaren dieser Gattung als „Schande für das christliche England“ sah. Allerdings hat sich von seinen diesbezüglichen Modellbauten keiner erhalten.

Um 1853 – er war als Architekt mittlerweile zu einigem Einfluss gelangt – endete seine berufliche Karriere abrupt durch eine an die Öffentlichkeit gelangte Affäre mit einer verheirateten Frau niederer sozialer Herkunft. Gerade für einen Mann, der sich stets zu seinem christlichen Glauben bekannte, war dies ein Gesichtverlust. Einen Großteil seines restlichen Lebens verbrachte er in Italien. Nach England kehrte er nur gelegentlich zurück. Dennoch nahm er durch Lesungen und Veröffentlichungen weiterhin Einfluss auf den sozialen Wohnungsbau.

Er wirkte als Berater für Wohnungsbauprojekte in Den Haag, St. Petersburg und Brüssel. Emile Muller von der Societé Industrielle de Mulhouse bescheinigte ihm eine entscheidenden Einfluss auf das Erscheinungsbild der dortigen Arbeitersiedlung Cité Ouvrière.