Philippe de Girard (1775–1845)

Philippe de Girard ist einer der herausragendsten Wissenschaftler und Erfinder des 19. Jahrhunderts. Er wurde am 1. Februar 1775 in Lourmarin in Frankreich geboren, studierte Medizin in Montpellier und danach Chemie und Naturwissenschaften in Marseille.

Seine Erfinderlaufbahn begann 1791 mit der Konstruktion eines elektrischen Kondensators. Er erfand auch eine Turbine, die von den Wellen des Ozeans angetrieben wird. 1810 setzte Napoleon Bonaparte einen Preis von einer Million Francs für die Erfindung einer Maschine zum Flachs-Spinnen aus. Philippe de Girard beteiligte sich, konstruierte die Versuchsversion einer Spinnmaschine mit 12 Spindeln und ließ nach einem Monat ein Patent eintragen. Noch vor dem Ende des Wettbewerbs präsentierte er eine komplette Spinnerei.

1815 zog er nach Österreich um. In Hirtenberg bei Wien gründete er eine Fabrik für Spinnmaschinen, in Pottendorf eine Spinnerei. Die Fabrik lieferte Maschinen an Spinnereien in Mähren, Sachsen und ins heutige Tschechien. Er konstruierte auch die erste Hechel und beendete 1818 seine Arbeit an einer Kardiermaschine. In Hirtenberg befasste er sich zudem mit Hydraulik und konstruierte automatische Tore, um die Fabrik vor starker Strömung zu schützen. Danach wandte er sich erneut der Entwicklung einer Dampfmaschine zu, indem er Rohr-Kessel baute: wasser-gefüllte Rohre, die von Feuer umgeben waren. Girards Kessel wurden erstmals 1818 im ersten Dampfschiff auf der Donau eingesetzt.

Im Königreich Polen wurden Girards Leistungen aufmerksam wahrgenommen. Am 13. Juli 1825 schloss man mit ihm einen Vertrag über die Errichtung einer Flachs-Spinnerei nach dem Vorbild der Fabrik in Hirtenberg. Am 1. August 1825 wurde Girard vom polnischen Finanzminister Prinz Drucki-Lubecki zum Chef-Mechaniker im Bergbauinstitut der Regierung ernannt. Er sollte in Minen und Stahlwerke neue, mechanische Ausrüstungen einbauen und die vorhandenen verbessern. Girard modernisierte unter anderem die mechanischen Fabriken in Białogon, Samsonów, Sielpa und die Zink-Werke "Ksawery" bei Będzin. 

Mit dem Ziel, Girards Erfindung der mechanisierten Flachs-Verarbeitung weiterzuverbreiten, wurde am 24. Juni 1829 in Warschau die Flachs-Produktions-Vereinigung gegründet. Noch 1829 lief in Marymont bei Warschau die Test-Produktion an, um Mitarbeiter auszubilden und die Maschinen zu optimieren. Am 1. März 1830 einigte sich die Regierungskommission für Innere Angelegenheiten mit der Flachs-Produktions-Vereinigung auf die Konstruktion einer großen mechanischen Spinnerei mit 2200 Spindeln in der Region Guzów. Die Gründungsurkunde der Flachs-Spinn-Fabrik in Żyrardów wurde am 9. August 1830 ausgearbeitet.

In der Fabrik in Żyrardów wurde auch die Hechel eingesetzt, die Girard erfunden hatte. Nach einigen Verbesserungen wurde sie 1832 erneut patentiert. 1833 eröffnete die Fabrik mit Philippe de Girard als erstem Technischen Direktor. Bis zum Ende seiner Zeit in Polen blieb Girard technischer Ratgeber für industrielle Unternehmungen der Bank von Polen, für Graf Henryk Łubiénski (Zuckerfabrik in Guzów), General Graf Ludwik Paca (Installation von zwei Turbinen als Antrieb des "Wasserdreschers") und für Piotr Steinkeller (Metallfabrik in Żarki).

1844 kehrte Girard nach Frankreich zurück. Alle seine Erfindungen stellte er auf einer Ausstellung in Paris vor und wurde dafür mit der Goldmedaille geehrt. Er starb am 26.August 1845 und wurde im Grab seiner Familie in Lourmarin beerdigt.