Karl Flanner (1920–2013)

An die Zwangsarbeit im großen Stil, die nationalsozialistische und kommunistischen Regimes vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg praktizierten, erinnern gleich mehrere Museen, insbesondere in Berlin. Karl Flanner litt mehr als fünf Jahre als Zwangsarbeiter und Häftling in Konzentrationslagern, doch im Gegensatz zu vielen seiner Leidensgenossen überlebte er, machte sich als Historiker einen Namen und gründete in seiner Geburtsstadt ein Museum über das Leben der Arbeiterklasse.

Karl Flanner kam in Flugfeld, einem Arbeiterviertel der Industriestadt Wiener Neustadt, als Sohn eines Arbeiters in der Lederindustrie zur Welt. Im Ersten Weltkrieg wurde sein Vater zur Arbeit in einer Munitionsfabrik eingezogen. Schon früh engagierte sich Karl in linken politischen Bewegungen, insbesondere bei Demonstrationen gegen die neofaschistische Heimwehr. Desillusioniert von sozialistischen Organisationen trat er der Kommunistischen Partei Österreichs bei, die damals eine illegale Organisation war. Er arbeitete als Elektriker im berühmten Lokomotivwerk in Wiener Neustadt und gehörte zu denjenigen in der Stadt, die 1938 den Anschluss Österreichs an das Dritte Reich ablehnten. Am 22. August 1939 wurde er von der Gestapo verhaftet, inhaftiert und zur Zwangsarbeit als Weber gepresst. Zeitweilig wog er nur 45 Kilo. Nach etwa vier Jahren wurde er in das Konzentrationslager Dachau und dann nach Buchenwald verlegt, wo er zu der Widerstansgruppe gehörte, die kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs die Macht der Lagerwachen überwand.

Nach seiner Rückkehr nach Wiener Neustadt trat er erneut der Kommunistischen Partei bei und war 1946-55 und 1960-71 Mitglied des Gemeinderates. 1982 gehörte er zu den Gründungskuratoren des Industrieviertel-Museums und war dessen Direktor. Das Museum zeigt unter anderem die Geschichte der Zwangsarbeit unter dem nationalsozialistischen Regime und der darin verwickelten Fabriken in Wiener Neustadt. Karl Flanner war Mitglied des Kuratoriums des in Wien ansässigen Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes (DÖW). Er war auch an der Verlegung von Stolpersteinen in Wiener Neustadt beteiligt, einer 2009 ins Leben gerufenen und weit verbreiteten Bewegung, die mit kleinen Plaketten auf Bürgersteigen oder an Straßenmauern all jener Menschen gedenkt, die vom NS-Regime verfolgt, ermordet, deportiert oder in den Selbstmord getrieben wurden.