Die Industrialisierung des heutigen polnischen Staatsgebietes verlief sehr unterschiedlich, denn die mehrfachen Teilungen des Landes fielen in die entscheidenden 150 Jahre, als in Europa die ersten Textilfabriken, Kohlebergwerke und Eisenbahnen entstanden. Damals gehörten die Teile des heutigen Polen zur ... mehr
Die Industrialisierung des heutigen polnischen Staatsgebietes verlief sehr unterschiedlich, denn die mehrfachen Teilungen des Landes fielen in die entscheidenden 150 Jahre, als in Europa die ersten Textilfabriken, Kohlebergwerke und Eisenbahnen entstanden. Damals gehörten die Teile des heutigen Polen zur Peripherie der umgebenden Großreiche und wurden durch deren Entwicklung entsprechend unterschiedlich geprägt.
Am größten war "Kongresspolen" mit der Hauptstadt Warschau, ein Konstrukt, das 1815 der Wiener Kongress geschaffen hatte und das den russischen Zaren unterstand. Wie in vielen europäischen Staaten erzeugte das Bevölkerungswachstum auch hier ein großes Reservoir von Arbeitskräften. Der Wandel in der Landwirtschaft nach der verspäteten Bauernbefreiung 1864 blieb jedoch ineffizient und brachte nicht die Erträge hervor, die in weiter entwickelten Ländern in erste Industrieansiedlungen geflossen waren. Da das Kapital fehlte, mussten die Investitionen aus dem Ausland kommen: Ein Kernproblem, unter dem die polnische Ökonomie bis weit ins 20. Jahrhundert litt.
Ähnlich wie westeuropäische Industriezentren entwickelte sich nur die Stadt Łodz, die als "polnisches Manchester" galt, weil dort um 1820 ein Boom der Baumwoll-Verarbeitung einsetzte – mit allen Nebenwirkungen: Ausbeutung der Arbeiter und drastischer Umweltverschmutzung. Parallel entstand im Dabrowa-Becken (Zagłębie Dąbrowskie), das östlich ans damals preußische Oberschlesien grenzte, durch Abbau der Kohlevorkommen und Verhüttung der Eisenerze ein bedeutendes Revier der Schwerindustrie.
In Warschau (Warszawa), das lange von seiner militärischen Funktion als Festung geprägt war, stieg die Bevölkerungsdichte ab der Mitte des 19. Jahrhunderts deutlich an. Mit Ansiedlungen der Metall- und Nahrungsmittelindustrie, Woll- und Leinenverarbeitung entwickelte sich die Stadt nun zum industriellen Ballungsraum. Dazu trugen auch die Bahnlinien bei, die Warschau erst mit Wien, dann auch Petersburg und Moskau verbanden. Ausschlaggebend war jedoch, dass die Industrien nicht mit Westeuropa konkurrieren mussten: Als Teil des ökonomisch sehr rückständigen Zarenreiches versorgte Kongresspolen vor allem den russischen Markt und entwickelte sich zu Russlands wirtschaftsstärkster Region.
Einen ungewöhnlichen Verlauf nahm die Industrialisierung in Oberschlesien, denn sie wurde durch frühzeitige staatliche Maßnahmen initiiert. Der preußische König Friedrich II., der das rohstoffreiche Gebiet in den Schlesischen Kriegen von Österreich erobert hatte, berief gezielt Experten, die dort modernste englische Technik installierten. Schon Ende des 18. Jahrhunderts lief der schlesische Kohlebergbau an und 1788 stand im wiederbelebten Silber- und Bleibergbau in Tarnowitz (Tarnowskie Góry) die erste Dampfmaschine. 1796 wurde in Gleiwitz (Gliwice) der erste mit Koks beheizte Hochofen Deutschlands angeblasen. In Kattowitz (Katowice) führte der Schotte John Baildon die englischen Puddelöfen ein, die hochbelastbares Schmiedeeisen erzeugten, und in Gleiwitz begann er erfolgreich den Bau von Dampfmaschinen. Bedeutend waren auch die Zinkvorkommen im weiteren Umkreis von Kattowitz (Katowice). Während des 19. Jahrhunderts wurde dort mehr Zink abgebaut als irgendwo sonst in Europa. Das Nebenprodukt Schwefelsäure fiel in solchen Mengen an, dass sie kaum noch absetzbar waren. Insgesamt entwickelte sich in Oberschlesien aber nur eine bescheidene Chemie-Industrie.
Nachdem staatliche Betriebe die Initialzündung ausgelöst hatten, finanzierten vor allem schlesische Großgrundbesitzer den Ausbau der Schwerindustrie. Erstaunlicherweise löste die Industrialisierung in der teils polnischen, teils deutschen Bevölkerung Oberschlesiens keinen Nationalisierungsschub aus wie etwa in Böhmen: Hier bestimmten die sozialen Klassen die Trennlinien. Der Stern des ersten Industriereviers auf deutschem Boden begann langsam zu sinken, als gegen Ende des Jahrhunderts mehr und mehr Erze importiert werden mussten.
Das weithin agrarische Niederschlesien machte 1844 von sich reden, als die Mechanisierung der Textilproduktion die bekannten Weberaufstände auslöste. Die Landwirtschaft dominierte auch Westpreußen und die "Südpreußen" genannte Region um Posen (Poznan), die beide in den polnischen Teilungen Ende des 18. Jahrhunderts preußisch geworden waren. In Danzig (Gdansk) siedelten sich immerhin Betriebe für Schiffbau und Rüstungsgüter an, auf dem Land blieb es bei Fabriken für Nahrungsmittelproduktion und den Bau von Landmaschinen.
Die heterogene Wirtschaftsstruktur der Landesteile belastete den nach dem Ersten Weltkrieg wiedergegründeten Nationalstaat Polen schwer. Zudem rissen die etablierten Handelsverbindungen 1918 ab. So konnten die Strukturschwächen, insbesondere die Abhängigkeit von ausländischem Kapital, nicht ausgeglichen werden, bis der Schwarze Freitag 1929 eine neue Krise auslöste.
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