Nationales Naturreservat Orford Ness

Orford Ness ist eine abgelegene, öde, mit Kies bedeckte Landzunge an der englischen Ostküste, nördlich der Mündung des Deben und der Hafenstädte Harwich und Felixstowe. Mit ihren 16 Kilometern Längserstreckung von Nord nach Süd gilt sie als Europas intakteste bewachsene Nehrung. Nach acht Jahrzehnten militärischer Nutzung verkaufte sie die britische Regierung 1993 an den National Trust (gemeinnützige Organisation, die Objekte aus dem Bereich der Denkmalpflege und des Naturschutzes in England, Wales und Nordirland betreut), der heute die Besuchereinrichtungen verwaltet und betreut.

Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf den Vögeln, Pflanzen und Insekten, die auf der Halbinsel heimisch sind. Es gibt jedoch zusätzlich geführte Rundgänge zu den militärischen Hinterlassenschaften, die zum Teil allerdings Sondergruppen vorbehalten sind. Den einzigen Zugang zur Nehrung bietet eine Fähre vom Orford-Kai in Dorf Orford, 20 Autokilometer von Woodbridge in Suffolk entfernt. Diese Fähre verkehrt nur an den offiziellen Öffnungstagen von Orford Ness. Der kürzeste der buchbaren Rundgänge ist acht Kilometer lang.

Orford Ness ist einer der bedeutendsten Orte auf den Britischen Inseln, der das Verhältnis zwischen Krieg und Industrie anschaulich macht. Die abgelegene Lage eignete sich ideal für Experimente, die in dichter besiedelten Gebieten gefährlich hätten werden können. Die militärische Nutzung begann 1915, als das Royal Flying Corps (die britische Heeres-Luftwaffe von 1912 bis 1918) hier ein Flugfeld einrichtete, um Versuche mit Bomben, luftgestützten Maschinengewehren, Navigation und Luftfotografie durchzuführen. 1918 wurde die RCF zur offiziellen britischen Luftwaffe (Royal Air Force, RAF) und setzte ihre Bombenexperimente auf der Halbinsel fort. Von 1935 bis 1937 unternahm hier – überwiegend in Gebäuden der Luftwaffe – ein Team von Militärwissenschaftlern Versuche zur Radarnutzung und entwickelte damit die Arbeit von Henry Tizard (1885-1959) und Robert Watson Watt (1892-1973) weiter. Die Experimente hatten einen hohen Stellenwert, wurden jedoch anderswohin verlegt.

Während des Zweiten Weltkriegs war die Forschungsbasis für luftfahrttechnische Rüstung (Aeronautical Armament Experimental Establishment) in Orford Ness stationiert, um die Anfälligkeit von Flugzeugen für feindliches Feuer zu untersuchen. Eine zurückgebliebene Tragfläche scheint in diesem Zusammenhang Versuche zur Einwirkung von Gewehrfeuer auf selbstabdichtende Treibstofftanks zu belegen. Gegen Ende des Krieges wurden hier Flugabwehrgeschütze für den Fall eines deutschen Angriffs mit V1-Raketen installiert.

Von 1955 bis 1971 arbeitete ein Institut für Atomwaffenforschung in Orford Ness. Die Experimente bezogen sich auf die nicht-nuklearen Bestandteile der Atom- und Wasserstoffbomben, mit denen die V-Bomber der Britischen Luftwaffe während des Kalten Krieges bestückt waren. Eine eigens errichtete kleine Radarstation leitete Flugzeuge bei Versuchsabwürfen. „Pagoden“-Gebäude von etwa 1960, die zur Vibrationsprüfung von Waffen dienten, sind die auffälligsten Hinterlassenschaften der militärischen Nutzung. Für Experimente mit Überhorizontradaren erwies sich die Nehrung als ungeeignet. Nach der Schließung des Instituts für Atomwaffenforschung 1971 wurden viele Gebäude und sonstige Anlagen zerstört. Dennoch ist Orford Ness bis heute ideal geeignet, um die wissenschaftlichen Aspekte der Kriegsführung im 20. Jahrhundert zu studieren.

Nationales Naturreservat Orford Ness
IP12 3NV Orford
Suffolk
Vereinigtes Königreich
+44 (0) 1394 - 450900
Homepage