Hermann Röchling (1872–1955)

Hermann Röchling hat als Stahlindustrieller über Jahrzehnte hinweg das deutsch-französische Verhältnis polarisiert und blieb über seinen Tod hinaus umstritten. Er kam am 12. November 1872 als elftes von vierzehn Kindern in Saarbrücken zur Welt. Sein Vater Carl hatte 1881 im benachbarten Völklingen eine brachliegende Eisenhütte gekauft und zu einem der ertragsstärksten Industrieunternehmen Europas ausgebaut.

Seit 1898 leitet Hermann gemeinsam mit seinem Bruder Louis die Völklinger Hütte. Er führt eine Reihe technischer Neuerungen ein, darunter eine Benzolfabrik, die seit 1907 die Reststoffe der Kokerei für die chemische Industrie weiterverarbeitet. 1908 setzt Hermann Röchling gegen den Willen des noch lebenden Vaters die Entwicklung eines Schmelzofens für Elektrostahl durch. 1911 ist die Völklinger Hütte eines der ersten Eisenwerke, das die neue Technologie der Trockengasreinigung in großem Stil umsetzt, und der 1917 aufgeständerte Wasserhochbehälter gilt seinerzeit als eine der aufwändigsten Betonkonstruktionen weltweit.

Unter den Sozialeinrichtungen des Unternehmens wie dem werkseigenen Krankenhaus, dem Kindergarten und einem Altersheim fördert er besonders den sozialen Wohnungsbau. So leitet er persönlich die „Arbeiter-Baugenossenschaft Völklingen“ und treibt den Bau von Wohnhäusern für die Belegschaft voran. Wie sein Vater macht er erfolgreich Geschäfte mit den französischen Nachbarn und profiliert sich zugleich als glühender Verfechter deutsch-nationaler Interessen. Im Ersten Weltkrieg stellt er Elektrostahl zur Herstellung des ersten deutschen Stahlhelms zur Verfügung und produziert Granaten aus verschrotteten Industrieanlagen im teilbesetzten Frankreich. Ab 1933 setzt er sich vehement für den Anschluss des französisch dominierten Saargebiets an das Deutsche Reich ein, tritt 1935 der NSDAP bei, verfasst 1936 eine Denkschrift unter dem Titel „Gedanken über die Vorbereitung zum Kriege und seine Durchführung“, ist 1939 einer von 15 deutschen „Wehrwirtschaftsführern“ und steigt 1942 mit der Ernennung zum Reichsbeauftragten für Eisen und Stahl in die höchste Führungsriege der deutschen Rüstungsindustrie auf. Als Produzent von Geschützrohren und Stahlblechen für Flugzeuge stellt er massenhaft Zwangsarbeiter ein - überwiegend aus Russland und der Ukraine deportierte Zivilisten sowie französische, italienische und sowjetische Kriegsgefangene – und ahndet Verstöße gegen die „Arbeitsdisziplin“ in einem werkseigenen Straflager.

Zweimal, 1919 und 1949, wird er auf Betreiben Frankreichs als Kriegsverbrecher zu jeweils zehn Jahren Haft verurteilt. 1951 kommt er vorzeitig frei unter der Auflage, nie wieder einen Fuß in das Saarland zu setzen. Der anschließende Streit zwischen Frankreich und der Familie Röchling um Besitzansprüche an der Völklinger Hütte bringt 1955 fast die Ratifizierung der Pariser Verträge - und damit die Beendigung des Besatzungsregimes in Westdeutschland - zu Fall. Am 24. August desselben Jahres stirbt Hermann Röchling 82-jährig in Mannheim.