George Herbert (1814–1902)

Die Erinnerungen von George Herbert portraitieren in ungewohnter Klarheit das Leben eines städtischen Handwerkers, der zufälligerweise Engländer war, aber auch in jedem anderen europäischen Land beheimatet gewesen sein könnte.

Sein Geburtsort, in dem er auch den größten Teil seines Lebens verbracht hat, ist Banbury, eine archetypische englische Marktstadt 35 Kilometer nördlich von Oxford und knapp 70 Kilometer südlich von Coventry. Sowohl seine väterlichen als auch seine mütterlichen Vorfahren waren Weber. Sein Vater, ein Mann mit besonderen Fähigkeiten, war in der Lage, zwischen den beiden lokalen Spezialisierungen – dem Weben von Plüsch und von Pferdedecken – hin- und herzuwechseln, und verstand überdies einiges von der Herstellung von Filzhüten. Nach einem Verwandtschaftsbesuch in Coventry, wo er einige der ersten Jacquard-Webstühle erlebte, die in den örtlichen Bandwebereien zum Einsatz kamen, kehrte er nach Banbury zurück und baute einen seiner eigenen Webstühle nach dem Jacquard-Prinzip um, auch wenn dies für die Herstellung von Plüsch nur von begrenztem Nutzen war.

George Herbert genoss eine solide Erziehung an einer Unitarier-Schule und begann danach eine Schusterlehre. Etwa um das Jahr 1832 verließ er sein Elternhaus, um auf die Walz zu gehen und in anderen Städten berufliche Erfahrungen zu sammeln. Per Postkutsche reiste er nach London, nahm dann das Dampfschiff nach Margate und verbrachte die meiste Zeit seines handwerklichen Wanderlebens in Dover. 1837 kehrte er nach Banbury zurück, wo ihm sein Vater dabei half, eine Schusterwerkstatt zu gründen. Er heiratete eine Frau aus Dover und zeigt in seinen Schriften, wie sehr eine Handwerkerfrau in das Geschäft ihres Mannes eingebunden sein konnte, ohne dass dies je in einer Volkszählung erfasst worden wäre.

Herbert war ein hoch qualifizierter Handwerker, der die Schuhmacherei aus dem Effeff beherrschte. Zu seinen Kunden zählten viele wohlhabende Männer, die in Zeiten, in denen es für Markthändler üblich war, bis zu einem Jahr Kredit zu gewähren, nur sehr widerwillig ihre Rechnungen beglichen. 1855 war er daher gezwungen, seine Werkstatt seinem Lederlieferanten zu verpfänden, der seinerseits in finanziellen Schwierigkeiten steckte.

Herbert hegte seit jeher Interesse für die Chemie, was ihn auf die Idee brachte, mit Hilfe wohlhabenderer Freunde auf dem neuen wissenschaftlichen Gebiet der Fotografie zu experimentieren. Zwar arbeitete er für einige Jahre weiterhin als Schuster, doch verdiente er bis zu seinem Ruhestand 1887 seinen Lebensunterhalt größtenteils als Fotograf. Überdies spielte er Geige und gehörte in der Mitte seiner Jahre einem kleinen lokalen Musikensemble an, das besonderen Gefallen an den Werken von Arcangelo Corelli fand.

In den 1890er Jahren schwelgte er von Zeit zu Zeit mit zwei alten Freunden im White Lion in Banbury in Erinnerungen, und auf ihre Anregung hin schrieb er zwischen 1898 und 1900 eine Reihe von Briefen über sein frühes Leben, die sich erhalten haben und 1948 erstmals publiziert wurden, um danach in mehreren weiteren Veröffentlichungen wieder aufgegriffen zu werden.

In mehrfacher Hinsicht lebte Herbert ein ganz gewöhnliches Leben, und doch gewähren seine ungekünstelten Erinnerungen Einblicke in viele Aspekte, die den Alltag eines städtischen Handwerkers bestimmten. Sie geben Aufschluss über die Lehre, die Sitte der Walz, die Rolle der Frauen und die wirtschaftlichen Unsicherheiten angesichts der Gewohnheit, lang dauernde Kredite gewähren zu müssen. Herberts Abwesenheit von Banbury während der Walz ließ ihn lebendige Erinnerungen an die Stadt zur Zeit seiner Lehrjahre bewahren. Auf rein örtlicher Ebene bietet sein Buch zudem viele topografische Informationen.